Gegen die Einheitsfeier 2019 in Kiel!

Wut verbindet – Deutschland spaltet. Klassensolidarität statt Vaterland!

03.10.10.2019 : Demonstration
11 Uhr | Platz der Matrosen, Kiel

02.10.2019 : Aktionstag

Unterstützer*innen (Stand 04.9.2019): Antifa Neumünster | Antifaschistische Jugend Kiel | Autonome Antifa-Koordination Kiel | Kneipenkollektiv Subrosa | Kurdistan-Solidaritätskomitee Kiel | Perspektive Solidarität Kiel (PSK) | TurboKlimaKampfGruppe (TKKG) Kiel | Wagengruppe Schlagloch | Den Aufruf unterzeichnen: tdde_kiel[at]riseup.net

Ach Du Scheiße, dieses Jahr findet im dreißigsten Jahr nach der historischen Maueröffnung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) die zentrale Jubelfeier dessen, was sie „Wiedervereinigung“ nennen, in Kiel statt. Die Führungsriege der heutigen großdeutschen Republik will selbstherrlich ihr proklamiertes Ende der Geschichte zelebrieren. Im Kern feiern die BRD-Oberen also die ungebremste Ausdehnung der kapitalistischen Ausplünderung von Mensch und Natur in nahezu allen Ecken der Welt. Sie wollen uns die Einverleibung der DDR in die Bundesrepublik als Erfolgsgeschichte und die wiedererstarkte Rolle der BRD in der Welt als verantwortungsvoll verkaufen. Als etwas, auf das wir stolz sein sollen. Mit Bier und Bratwurst auf einem riesigen Volksfest bestechen sie uns, in den Lobgesang der Herrschenden mit einzustimmen. Worüber sie nicht reden werden: Über zahllose ostdeutsche Biographien, die durch die ökonomische, soziale und politische De-Strukturierung der „Neuen Bundesländer“ nachhaltig zerstört worden sind. Über den bis heute andauernden Nazi-Terror im Fahrwasser des nationalistischen Einheitstaumels, über die systematische Entwürdigung von HartzIV-Betroffenen, Wohnungsnot und steigende Armut in einem der reichsten Staaten der Welt. Über die Mitschuld, die Deutschland aktiv oder passiv bei Krieg, Verwüstung und Ausbeutung anderer Länder trägt. Und auch nicht über den politisch geförderten Massenmord an den EU-Außengrenzen an denen, die davor fliehen müssen. Aber genau diese deutsche Realität werden wir zum Ausgangspunkt unserer Gegenerzählung zur Propagandafeier am 3. Oktober 2019 in Kiel machen.

DDR-Opposition 1989: Der Sozialismus wird frei sein oder er wird nicht sein

Der Sozialismus muss nun seine eigentliche, demokratische Gestalt finden, wenn er nicht geschichtlich verloren gehen soll. Er darf nicht verloren gehen, weil die bedrohte Menschheit auf der Suche nach überlebensfähigen Formen menschlichen Zusammenlebens Alternativen zur westlichen Konsumgesellschaft braucht, deren Wohlstand die übrige Welt bezahlen muss.“ (Gründungsaufruf Demokratie Jetzt (DJ) vom 13.8.1989. DJ war eine der wichtigsten Oppositionsgruppen der DDR, gehörte dem kirchlichen Spektrum an und trat für Basisdemokratie und gegen ein rasche Wiedervereinigung Deutschlands ein.)

Es brodelte schon länger im Untergrund des bürokratisch erstarrten Arbeiter- und Bauernstaates, der auf Abweichung und politische Opposition keine andere Antwort als Repression und Überwachung wusste. Friedens-, Frauen- und Ökologiebewegungen, Antifa-Gruppen, Anarchist*innen, Rätesozialist*innen und marxistische Abweichler*innen vom SED-Kurs bildeten den linken Flügel der DDR-Opposition. Insbesondere in den 1980ern trat diese für eine Demokratisierung des Sozialismus ein. Der Anschluss der DDR an die BRD und die Übernahme der kapitalistischen Produktionsweise nach westlichem Vorbild entsprach dabei nicht einmal den Vorstellungen ihres liberalen Flügels. Diese Bewegung initiierte im Laufe des Jahres 1989 unter der Losung „Wir sind das Volk!“ Massenproteste, die die politische Führung der DDR im November 1989 zur chaotischen Öffnung der Grenzen drängte und das Ende der SED-Herrschaft einläutete. Ihre linksradikalen Kräfte bündelten sich z.B. in der „Initiative für eine Vereinigte Linke“ (IVL) und traten neben weiteren Akteur*innen der Oppositionsbewegung zu den letzten DDR-Wahlen im März 1990 an. Diese sollten jedoch zugleich das Ende der kurzen Hoffnung auf einen freien Sozialismus besiegeln: Nicht die DDR-Oppositionsgruppen gingen als Sieger*innen hervor, sondern die (teils neugegründeten) Satelliten der großen West-Parteien. Insbesondere Helmut Kohls CDU hatte mit der massiven finanziellen, propagandistischen und personellen Unterstützung ihrer Ost-Filiale jede Chancengleichheit bei den Wahlen beseitigt. Mit dem Sieg der Ost-CDU wurden die Weichen auf Anschluss der DDR an die BRD gestellt. Die eigentliche DDR-Opposition war entmachtet und unter der nationalistischen Parole „Wir sind ein Volk!“ und dem leeren Versprechen von blühenden Landschaften wurde am 3. Oktober 1990 statt einer Reform des Sozialismus die kapitalistische Groß-BRD nachhaltige Realität.

Enteignung und sozialer Kahlschlag – die Kolonisierung des Ostens

Es folgte Katerstimmung nach der großen nationalen Besoffenheit. Nicht blühende, sondern Brachlandschaften waren die Folge der nun einsetzenden neoliberalen Schocktherapie im Osten. Die Treuhandanstalt wurde zum Hauptakteur des hemmungslosen Ausverkaufs des kollektiven Eigentums der Ostdeutschen. Ursprünglich war diese gegründet worden, um nach dem Ende der DDR die Verwaltung und Überführung der Staatsbetriebe sicherzustellen. Der nun stattdessen einsetzende Raubzug der Westkonzerne verfolgte eine simple Logik: Legitimiert durch den ideologischen Mythos von der angeblich bankrotten DDR-Wirtschaft verschleuderte die Treuhand selbst die Vorzeige-VEBs zu Dumpingpreisen an das westdeutsche Kapital. Volkseigener Betrieb (VEB) war in der DDR für den Dienstleistungs- und Industriesektor das ökonomische Gegenmodell zum kapitalistischen Privateigentum an Produktionsmitteln. VEBs waren de facto vergesellschaftet und unterstanden der Staatsführung. Die Betriebe wurden unter ihren neuen Eignern jedoch keineswegs weitergeführt, sondern kurzerhand dichtgemacht. So konnten die Westkonzerne auf dem neu erschlossenen ostdeutschen Markt die dort ansässige Konkurrenz ausschalten. Gleichzeitig sanierten diese mit den Millionen aus der Aufbauhilfe ihre eigenen maroden Strukturen. Der deutsche Osten wurde auf diese Weise gezielt deindustrialisiert und damit die Ursache für die bis heute andauernde Massenarbeitslosigkeit, Strukturschwäche, Armut und Abwanderung in vielen Regionen der „Neuen Bundesländer“ geschaffen. Bis heute liegt das Lohnniveau im Osten unter dem Westdeutschlands, wo durchschnittlich 28% mehr verdient wird. In Führungspositionen von Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Politik sind Westdeutsche deutlich überrepräsentiert. Begleitet wird dies bis heute von einem West-Chauvinismus gegen Ostdeutsche, der die Misere gemäß des neoliberalen Menschenbildes mit Klischees über Ossis rechtfertigt und ihnen die Schuld zuschreibt. Nicht von einer gleichberechtigten Vereinigung von Ost- und Westgesellschaft kann daher die Rede sein, sondern von einer Kolonisierung des Ostens durch den Westen.

Vielerorts versuchten die Arbeiter*innen die Schließung ihrer Betriebe Anfang der 1990er durch teils erbitterte selbstorganisierte Kämpfe zu verhindern. Zum tragischen Symbol dieses Widerstands wurden die Kali-Kumpel von Bischofferode: Im April 1993 besetzten hier 500 Bergleute das Kaliwerk Thomas Müntzer, 41 von ihnen traten in den Hungerstreik um die Schließung zu verhindern. Wie auch anderswo wurden sie jedoch von den großen West-Gewerkschaften verraten und schlussendlich von der Überlegenheit der neuen Machthaber in die Knie gezwungen. Eine Aufarbeitung dieser düsteren und folgenschweren Gründungsgeschichte des „wiedervereinigten“ Deutschlands ist bisher ausgeblieben, zu sehr steht sie der hegemonialen Erfolgserzählung entgegen. Wir solidarisieren uns mit der zuletzt immer lauter werdenden Forderung nach einer umfassenden Treuhand-Aufarbeitung! Gegen Kolonialherren und Besserwessis: Ost-Betriebe in Ossihand – gleiche Löhne für alle!

Schwarz-Rot-Braun

Während die schwarz-rot-gelbe Euphorie schnell von der Skrupellosigkeit der real-existierenden Marktwirtschaft gedämpft wurde, konnte der neue deutsche Nationalismus wieder seine alte aggressive Wirkungsmacht entfalten. Denn dort, wo Versprechen gebrochen, Widerstand verraten und der trostlose Ist-Zustand als alternativlos verklärt wird, findet sich ein fruchtbarer Nährboden für diejenigen, deren Programm es ist, die Wut und Frustration, die die bürgerliche Gesellschaft erzeugt, nach unten zu kanalisieren. Schon im nationalen Taumel der „Wiedervereinigung“ mischten neo-faschistische Kräfte mit, darunter auch zahlreiche westdeutsche Nazi-Kader, die nun ihre Stunde geschlagen sahen. Aus dieser Gemengelage entwickelte sich schnell eine organisierte Neonazi-Szene, die sich vor allem aus einer rechten Jugendkultur rekrutierte, die in den 1990ern vielerorts die Straßen und die Jugendclubs dominierte. Im Rahmen des Konzepts der „Akzeptierenden Jugendarbeit“ wurden dieser neonazistischen Subkultur von staatlichen Stellen Treffpunkte, Proberäume und Rückzugsorte zur Verfügung gestellt.

Bejubelt von weißen Durchschnittsdeutschen und dankend aufgegriffen von der etablierten Politik stellte dieses Milieu das organisierte Personal der rassistischen Pogrome von Lichtenhagen, Hoyerswerda, Mölln oder Solingen. Der durch die „Wiedervereinigung“ befeuerte Neonazismus war mitnichten ein ostdeutsches Phänomen, hat hier jedoch bis heute viele seiner Hochburgen. Diese sind ohne den sozialen Kahlschlag nach der „Wende“ nicht erklärbar. Auch durch halbherzige Verbote Mitte der 1990er verschwanden die militanten Neonazis nicht, im Gegenteil wurden sie vielerorts fester Bestandteil oder sogar alleiniger Akteur der sozialen und politischen Strukturen insbesondere in peripheren Gegenden. Sie zogen als NPD-Abgeordnete in Gemeinderäte und Landtage ein, wurden aktiv in Sportvereinen und finden sich heute als erfahrene Aktivist*innen inmitten der menschenfeindlichen rassistischen Mobilmachungen von PEGIDA bis AfD wieder. Die Wahlerfolge der AfD, die in den „Neuen Bundesländern“ regelmäßig überdurchschnittlich stark abschneidet und mancherorts sogar die stärkste politische Kraft darstellt, sind Ausdruck dieser mittlerweile festen Verankerung rechter Akteur*innen in Teilen der Gesellschaft. Andere von ihnen gingen in den Untergrund und zogen als „NSU“ über ein Jahrzehnt lang ungestört mordend durch die BRD. Sie sind der tagtägliche Nachweis darüber, dass der alte völkische deutsche Nationalismus und sein Vernichtungswahn in Deutschland einig Vaterland keineswegs überwunden wurde. Er verkauft sich mittlerweile lediglich als Opposition zu demjenigen politischen Mainstream, der 1989/90 sein Steigbügelhalter gewesen ist – und das mit zunehmend beängstigendem Erfolg. Aber Nationalismus ist keine Alternative. Gegen Rechtsruck und rassistischen Terror: Nazibanden zerschlagen – Kampf der AfD!

Prekarisierung und Repression – autoritärer Neoliberalismus deutscher Nation

Nicht nur im Osten der Republik schuf die „Wiedervereinigung“ die Voraussetzungen zur Durchsetzung des neoliberalen Kapitalismus. Auch im Westen waren nach dem Wegfall der staatssozialistischen Systemkonkurrenz nun Türe und Tore offen für einen gesamtdeutschen Angriff auf die Lohnabhängigen. Durchgesetzt wurde dieser ab 2003 im Rahmen des Sozialkahlschlagpakets Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder. Ihr Kernstück, das Verarmungsprogramm HartzIV, machte erwerbslose Menschen zu entrechteten Bittsteller*innen, die von den Jobcentern seither systematisch gegängelt, mit Repressalien in Form von demütigenden Maßnahmen und Kürzungen überzogen und so in prekäre und unerträgliche Arbeitsverhältnisse gezwungen werden sollen. HartzIV war die Vorbedingung für den seither rapide gewachsenen deregulierten Niedriglohnsektor und die stetige Öffnung der Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland. In besonderem Maße betroffen sind hiervon nicht zufällig die de-industrialisierten Regionen in Ostdeutschland. Die Bedingungen der Ausbeutung der Lohnabhängigen und die folterähnliche Drangsalierung derjenigen, die in der Verwertungslogik überflüssig sind oder ganz einfach nicht jeden Drecksjob machen wollen, wurden durch HartzIV massiv verschlimmert. Profitiert hat von den Reformen dagegen das deutsche Kapital, das den Prekarisierungssuperstar BRD in der globalen Standortkonkurrenz auf die Seite der Krisengewinner hievte. Es bleibt dabei: Organisieren wir uns gegen Ämterterror und Lohnsklaverei. Gegen Prekarisierung und Ausbeutung: Weg mit HartzIV – Leiharbeit verbieten – rauf mit dem Mindestlohn!

Krieg und Austerität – die neue Großmacht BRD

Stand dem umfassenden Aufstieg der BRD in die Reihen der kapitalistischen Hegemonialmächte bis zur „Wiedervereinigung“ noch das internationale Gedächtnis an den nationalsozialistischen Terror Deutschlands im Weg, inszenierte sich die Groß-BRD nach der Wende zunehmend als Musterschülerin der Aufarbeitung seiner mörderischen Geschichte. Vernichtungskrieg und Massenmord der Nazi-Deutschen wurden nun nicht mehr wie in den Jahrzehnten zuvor unter den Teppich gekehrt oder relativiert, sondern offensiv in den Fokus der offiziellen Erinnerungspolitik gerückt. Paradoxerweise gelang der BRD so, was den Nazis im Schlamm von Stalingrad versagt geblieben ist: Deutschlands Aufstieg zum Hegemon in Europa. Die vermeintlichen Lehren aus dem industriellen Massenmord von Auschwitz, der nur unter den Bedingungen des Krieges umsetzbar gewesen ist, wurde zur offiziellen Begründung für den ersten deutschen Angriffskrieg seit Ende der Nazi-Herrschaft, ausgerechnet auf Jugoslawien. Auch der Bruch dieses bisherigen Tabus konnte sich freilich nur eine Koalitionsregierung aus Sozialdemokratie und ehemaliger grüner Friedenspartei erlauben. Auch auf dem Balkan verwandelte sich mit der serbischen Regionalmacht ein europäischer Standortkonkurrent in herbei gebombte Brachlandschaft. Seither ist die Beteiligung der Bundeswehr an Kriegseinsätzen längst wieder zur deutschen Normalität geworden. Ob mit Soldat*innen, Logistik, Waffenlieferungen, Geld oder Know-How: Die BRD mordet mit in aller Welt, um auch unter den verschärften Bedingungen des globalisierten Weltmarktes weiter zu den Gewinnerinnen der imperialen Weltordnung zu gehören. Kiel als Rüstungsstandort und Militärhafen ist Dreh- und Angelpunkt dieser Entwicklung. Krieg beginnt hier vor unserer Haustür – stoppen wir ihn hier!

Ohne den Einsatz kriegerischer Mittel, aber nicht weniger brutal ging die politische Vertretung des deutschen Kapitals zuletzt in Griechenland vor. Blieb die BRD in der seit 2008 andauernden Weltwirtschaftskrise dank Dumpinglohnmodell und Exportüberschuss noch von größeren wirtschaftlichen Turbulenzen verschont, erging es vielen Staaten in der europäischen Peripherie anders. Insbesondere die Bevölkerungen von Spanien, Portugal und Griechenland mussten die Quittung für den irrsinnigen krisenhaften Normalbetrieb der kapitalistischen Produktionsweise zahlen. Die neoliberale Schockstrategie des EU-Austeritätsregimes unter deutscher Führung brachte in Griechenland 2015 eine Massenbewegung gegen die Verarmungspolitik und den Ausverkauf der griechischen Wirtschaft auf die Straße. Ihr „Nein” („Oxi”) setzte die EU, IWF und EZB so sehr unter Druck, dass diese die demokratisch legitimierte linke griechische Regierung de facto entmachteten, um die soziale und ökonomische Destabilisierung Griechenlands gegen den massiven Widerstand durchzusetzen. Die Folgen für die griechische Gesellschaft sind dramatisch. Wir sind international solidarisch mit allen Betroffenen des deutsch-europäischen Austeritätsregimes und ihrem Widerstand – gegen das Europa des Kapitals!

Gute Mauertote, schlechte Mauertote

Mindestens 140 Menschen starben zwischen 1961 und 1989 an der Grenze zwischen DDR und BRD, die meisten von ihnen bei Fluchtversuchen in den Westen. Jeder Mensch, der an einer nationalstaatlichen Grenze sein Leben lässt, ist ein Mensch zu viel. Dass in der herrschenden Geschichtsschreibung jedoch ausgerechnet Mauertote die Unmenschlichkeit der DDR gegenüber der BRD beweisen sollen, ist dreiste ideologische Heuchelei. Denn Mauern und Grenzen sind kein Merkmal des Sozialismus, sondern Ausdruck der nationalstaatlichen Sicherung von Herrschaft. Dies führen uns auch 180 tote Menschen vor Augen, die durchschnittlich jeden Monat an den Mauern der Festung Europa sterben. Nicht der sozialistische Anspruch der DDR erklärt das Sterben an den Grenzen, sondern dessen nationalstaatliche Verfasstheit. Mauertote, selbst in solch krassen Dimensionen wie tagtäglich an den EU-Außengrenzen, sind im hiesigen Mainstream nur dann ein Grund zur Empörung, wenn es sich um „deutsche Volksgenossen“ handelt und sich der bürgerliche Kapitalismus als Menschenfreund inszenieren kann. Handelt es sich jedoch um Menschen aus Afrika oder dem Mittleren Osten, die vor Krieg, Hunger, Armut, Folter und Verfolgung flüchten müssen, bekämpft man sie mit militärischen Mitteln, lässt sie im Mittelmeer ersaufen und hindert sogar diejenigen, die zur Hilfe eilen, an der Rettung von Menschenleben.

Die BRD trägt die rassistische EU-Abschottungspolitik und das politisch gewollte Massensterben im Mittelmeer aktiv mit. Überlebende Geflüchtete, die das reiche Deutschland dennoch erreichen, werden stigmatisiert, entrechtet, in Lagern und Knästen isoliert und abgeschoben – mittlerweile längst auch wieder in Kriegsgebiete wie Afghanistan. Die rassistische Hetze der Rechten und die staatliche Abwehr von Flüchtenden hierzulande stehen in einem tödlichen Wechselverhältnis zueinander, mancherorts sind sie längst deckungsgleich. Doch auch dies ist Realität: Überall in Europa wehren sich Menschen gegen die rassistische Weltordnung und organisieren Solidarität mit Flüchtenden. Geflüchtete schließen sich zusammen und leisten Widerstand gegen Entwürdigung und Ausgrenzung. Seenotretter*innen trotzen der immer drastischeren Kriminalisierung und erfahren riesige Solidarität. Dies gibt auch Hoffnung. Reißen wir die Mauern ein, die uns trennen: Stoppt die Repression gegen Seenotretter*innen auf dem Mittelmeer – schafft sichere Fluchtwege! Bleiberecht für Alle bis jede Grenze fällt! Abschiebeknäste zu Kommunikationszentren!

No Justice No Peace: Da sind wir aber immer noch!

Die deutschen Zustände 2019 von Ausbeutung, Prekarisierung, Abschottung, Krieg und Rechtsruck machen wütend. Die Wut all jener, die infolge der deutschen „Wiedervereinigung“ nichts zu lachen haben, soll uns am 3.10. verbinden: Wir wollen am Tag der Propagandafeier die Leidtragenden der wiedererstarkten deutschen Nation sichtbar machen. Ganz gleich, ob betroffen von der Gewalt der neoliberalen Spielart des deutschen Nationalismus in den Regierungsämtern, Jobcentern oder Betrieben, oder von seiner völkischen Form auf der Straße, in der Kneipe oder den Kommentarspalten.

Eine Wut, die nicht nach unten weitergereicht wird, sondern das Bindeglied des gemeinsamen Klassenstandpunktes ganz unterschiedlicher Biographien sein kann. Eine Wut, die sich gegen die kapitalistischen Verhältnisse, ihre Profiteure und ihre Verwalter*innen richtet. Die Wut des Exil-Ossis, der sich nicht mit Begrüßungsgeld zufrieden gegeben hat, sondern sein enteignetes Volkseigentum zurückhaben will. Die Wut der HartzIV-Betroffenen, die ihre Angst überwindet und ihre Geschichte auf die Straße trägt. Die Wut des Kali-Kumpels, dem man das Herz gebrochen hat und der nach der Verschleuderung seines Betriebs Anfang der 1990er vor dem Nichts stand. Die Wut der griechischen Wissenschaftlerin, die zu Hause keine Perspektive mehr hatte und ihre Arbeitskraft nun fernab ihrer Heimat verkaufen muss. Die Wut des Menschen auf der Flucht, der vor Massakern mit deutschen Waffen oder den Folgen der Klimakatastrophe in seiner Heimat fliehen musste und den tödlichen Weg in die Festung Europa überlebte. Die Wut des Menschen mit dunkler Haut- oder Haarfarbe, für den rassistische Polizeikontrollen, Stigmatisierungen und Beleidigungen Alltag sind. Die Wut der jungen Punkerin aus der Kleinstadt, die sich nicht mehr von Dorfnazis und sexistischen Anmachen kleinmachen lassen wird. Die Wut des Leiharbeiters, der nach Monaten mies bezahlter Buckelei schon wieder keinen festen Arbeitsvertrag bekommen hat. Die Wut der einst geachteten Schlosserin, für die nach der „Wende“ plötzlich kein Platz mehr in ihrem angeblichen „Männerberuf“ gewesen ist und die unter den Bedingungen prekärer Teilzeitarbeit auf sich allein gestellt die Versorgung ihrer Tochter organisieren musste, weil in der BRD soziale Absicherung noch immer an die Ehe geknüpft ist. Die Wut des schwulen Paares, welches nach der „Wende“ feststellen musste, dass der Paragraph 175 erst Jahre später aufgehoben werden würde, obwohl dieser in der DDR bereits in den 80ern ganz abgeschafft wurde. Oder die Wut der Rentnerin, die als Dank für die jahrtzehntelange Ausbeutung ihrer Arbeitskraft heute Pfandflaschen sammeln muss, um die steigende Miete bezahlen zu können. Vielfältige und berechtigte Wut, die Ventil braucht, weil sie sich sonst viel zu oft gegen sich selbst oder die Falschen richtet.

Aber wir wollen auch den mutigen Widerstand und den Kampf für etwas Besseres als das Ende der Geschichte im Kapitalismus sichtbar machen: Die Streiks und Betriebsbesetzungen gegen die Treuhand-Politik, die massenhaften Hausbesetzungen in vielen ostdeutschen Städten im Machtvakuum der „Wende“, die Massenproteste gegen die Agenda2010, die sich nicht zufällig an den Montagsdemonstrationen von 1989 orientierten, die aufopfernde Gegenwehr von Antifas gegen die rechte Hegemonie in der ostdeutschen Provinz, das lautstarke Oxi der griechischen Bevölkerung zur deutsch-europäischen Austeritätspolitik oder die Seenotrettung auf dem Mittelmeer, die der Kriminalisierung und der Hetze trotzt. Auch dieser Mut zum Widerstand soll uns verbinden.

Und selbstverständlich müssen wir auch über Sozialismus reden, wenn wir unsere Wut und unseren Mut zu einer längerfristigen Perspektive verbinden wollen: Ohne die ideologisch motivierte Dämonisierung der DDR durch die herrschenden Geschichtsschreibung nachzuplappern, aber auch, ohne die Verherrlichung ihrer zahlreichen Schattenseiten. Im Geiste der linken DDR-Opposition wollen wir der Zukunft zugewandt selbstkritisch die Frage stellen, was wir beim nächsten Mal besser machen müssen: Weniger Staat, weniger bieder, weniger deutsch – glasklar, auch wenn dies leichter gesagt ist, als getan sein wird. Wie immer schreiten wir fragend voran, aber eins zeigt uns die BRD 2019 ganz gewiss: Ohne Sozialismus läuft es eben auch nicht.

Lasst uns gemeinsam unsere Wut auf den deutschen Klassenstaat auf die Straße tragen! Lasst uns den Herrschenden zeigen, dass wir auch in Kiel nicht einverstanden sind mit ihrem selbstherrlichen Spektakel! Lasst uns ein Signal gegen die kapitalistischen Verhältnisse und das Wiedererstarken und Toben des deutschen Nationalismus setzen. Seid mit uns gemeinsam laut, mutig und wütend und kommt am 3. Oktober 2019 nach Kiel, um ihnen gemeinsam ihren elenden Festakt in der Sparkassen-Arena zu versauen!

Es gibt kein Ende der Geschichte – kein Frieden mit deutschem Staat, Nation und Kapital!

Blühende Landschaften für alle – für die klassenlose Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung!

Aktuelle Infos: 0310kiel.noblogs.org | twitter.com/no_tdd

#Wutverbindet