Wut kennt viele Sprachen

Hardcore aus Brasilien: Colligere rockten in der Alten Meierei Kiel

So langsam beschleicht einen das Gefühl, dass man die Szene politisch motivierter Bands aus Südamerika besser kennt als die heimische. Am Montag hat sich das Panorama erweitert. Colligere aus Brasilien sind auf Tour, erstmals in Europa und – der hervorragenden Arbeit der Alten Meierei Kiel sei Dank – auch sofort dort zu Gast, wo ein gutes Konzert noch für fünf Euro zu kriegen ist.

Brachialer Sound mit melodischem Ornament
und rhythmischer Finesse: Colligere. Foto Peter

Wut kennt viele Gründe, Sprachen und Ausdrucksformen. Paulo Garay Abatto (Schlagzeug), Brunno Covello (Gitarre), Gabriel Covello (Bass) und Rodrigo Ponce Santos (Stimme) haben sich mit ihrem Hardcore eine erdenklich brachiale ausgesucht. Verstärkt durch das neue Bandmitglied Thiago Marques an der Gitarre baut sich eine Soundmauer auf, die, nicht wie bei vielen anderen Bands dieser Gattung, einem unverziertem Bollwerk gleichkommt, sondern vielmehr durch melodisches Ornament und rhythmische Finesse begeistert.

Das ganze hat Swing, und damit das nicht falsch verstanden wird: Swing nicht im musikhistorischen Sinne, sondern Swing als die Art von Fluss, die in einem Stück mehr hör- und fühlbar macht, als die Notierung anbietet. Dass sie ihrer Empörung in portugiesischer Sprache Luft verschaffen, reduziert das Konzert für alle, die dieser Sprache nicht mächtig sind, zu einem reinen Musikvergnügen. Das ist nicht schlimm, und die etwas holprigen Ansagen und Randeschichten auf Englisch setzen die Überzeugungen der Musiker genau an die richtige Stelle.

Das wäre dann geklärt, und man darf genießen ohne Sorge, dass hier der Kopf in die falsche Richtung mitnickt. Mit der ebenerdigen Bühnenidee entwickelt sich die Nähe zwischen Band und Konsument, die schon so manches Konzert in der Alten Meierei zu einer sehr intensiven Angelegenheit gemacht hat. Heute ist das auch so, auch wenn in einer guten Stunde Konzert das Zugehörigkeitsgefühl eher übersichtlich entwickelt. Die Wechsel zwischen fast groove-ähnlichem Midtempo und rabiater Hochgeschwindigkeitsattacke bringt eine intensive Spannung in die Arrangements und fordert die ganze Aufmerksamkeit des Publikums. Und mit welcher Wucht und gleichzeitiger Geschwindigkeit vor allem Schlagzeuger Garay Abatto seine Schießbude bearbeitet, hat schon echte Klasse.

Die Mischung aus Brüllanfällen und Gesangseinlagen Ponce Santos‘ ist stimmig und verleiht den von Bassist Gabriel Covello vorangedrückten Arrangements die nötige Fahrt. Sägende Gitarren oder virtuos inszenierte Gitarrensoli verfeinern das, was schon im Rohzustand besser ist als das Gros des Bekannten dieser Richtung. Spartenmusik, sicher, aber eine Sparte, in der sich noch viel bewegt. Man darf gespannt sein auf die nächste Band, die noch etwas zu sagen hat.

Von Manuel Weber