VILE CREATURE, 100.000 TONNEN KRUPPSTAHL, ASEETHE / 07.04.2019 – Kiel, Alte Meierei

Review von Steffen und Philipp (Dremufuestias)

INSIDE INFERNAL CRUST BRIGADE, Part IV

Philipp: Mit dieser Veranstaltung beginnt eine vierteilige Serie, für welche die INFERNAL CRUST BRIGADE hauptsächlich Bands gebucht hat, die auf dem diesjährigen ROADBURN-Festival zocken. Natürlich nutzen die meisten Gruppen diesen Termin, um drum herum gleich eine Tour zu spielen. Ich muss sagen, dass ich von den Bands (insgesamt handelt es sich um VILE CREATURE, ASEETHE, BOSSE-DE-NAGE, STREET SECTS, WRONG, COILGUNS, IMPERIAL TRIUMPHANT sowie MORD’A’STIGMATA) nicht mal den jeweiligen Namen kenne. Aber so entdeckt man neuen Stoff! Los geht es heute also mit einer knackigen Doom/Sludge/Drone-Sonntagsmatinee, angesetzt zwischen 16:00 und 23:00 Uhr.

Steffen: Aufs ROADBURN müsste ich unbedingt mal. So ungefähr alles, was ich an Metal-Derivaten digge, scheint da zu spielen. Und erstaunlich, wie viele Doom-Duos es gibt! Bisher kannte ich nur BELL WITCH, DARK CASTLE, WOLVSERPENT und OMMADON, heute werde ich 2 Weitere hinzufügen können!

Philipp: Zu den Roadburn-Bands stoßen heute noch 100.000 TONNEN KRUPPSTAHL, ein Duo aus Berlin, welches musikalisch durchaus zu den anderen beiden Bands passt, wobei es letztlich auch andere Ansätze verfolgt. Generell ist es faszinierend, welche Variationen das Genre trotz seiner (vermeintlich?) eng definierten Grenzen zulässt. Das Duo trudelt zuerst ein, der kanadische Angry Queer Gloom Cult VILE CREATURE und das Trio ASEETHE (Iowa) folgen wenig später.

Philipp: Mit ASEETHE beginnt die „aufgeräumte und disziplinierte“ (Zitat Steffen Frahm) Variante des Themas – Drone/Doom der zähen Sorte ergießt sich aus der PA. Die Endhärte sind die Vocals des Bassisten, die fieser klingen als eine Krähe in der Mikrowelle. Was auf den ersten Hör minimalistisch scheint, birgt doch viele Details. Im Fokus stehen rohe, extrem schwer rollende Riffs, auf Melodien wird nahezu gänzlich verzichtet, aber ein sehr detailreiches und akzentuiertes Schlagzeugspiel belebt jeden Song. Es gibt ja Doom, den viele Menschen in seiner Wirkung als beruhigend bezeichnen. Hier ist das Gegenteil der Fall – die Wiederholung der Riffstrukturen und die sich steigernde Intensität der Abwärtsspirale wirken zermürbend, fordernd, klaustrophobisch. Zum erwähnten Fauchgesang kommen Growls, für die der Gitarrist Brian Barr verantwortlich ist. Schwerer Stoff, der einige Besucher*innen noch nach dem letzten Ton wie erstarrt stehen lässt.

Steffen: Wegen ASEETHE bin ich hier, ich sah sie (weil sie auf Thrill Jockey sind und aus Nordamerika kommen) schon als Headliner und bin kurz verwundert, daß sie eröffnen. Die Reihenfolge macht aber total Sinn, wird mir klar, während ich mich immer tiefer in den tieftönenden Morast ziehen lasse.

Bei ASEETHE stehen die Akkorde auch gern mal im Raum, nachdem sie durch eine von allen Instrumenten akkurat aufs Metrum gebrezelte Eins zum dröhnenden Leben erweckt wurden. Wohl deshalb und weil die Stücke viel Repetitives enthalten, werden ASEETHE oft als „Drone/Doom“-Outfit geführt. Manche Passagen haben den Charakter drakonischer Feststellungen, an denen nach der x-ten Wiederholung quasi aus rein physikalischen Gründen kein Zweifel mehr bestehen kann. So verhält es sich zumindest auf „Hopes Of Failure“, ihrem Thrill-Jockey-Debüt aus 2017, von dem schätzungsweise die Hälfte der heute dargebotenen vier Stücke kommt. Die Hörproben des im Mai erscheinenden Nachfolgers „Throes“ lassen vermuten, daß die Reise in eine etwas andere Richtung geht, vielleicht more groovy, wenn auch nicht weniger doomy und mit verstärktem Einsatz beider Vokalisten. Zum finalen „Into The Sun“ kommen VILE CREATURE auf die Bühne und brüllen kräftig mit, dann ist es auch schon vorbei.

Philipp: Auch 100.000 TONNEN KRUPPSTAHL können nicht gerade als Easy Listening bezeichnet werden. Das Duo überrollt die Hörer*innen mit seinem Namen entsprechender Heavyness. Allerdings legen die beiden Vögel den Schalter plötzlich auf Grind um, gerade als ich denke, dass ich gerne mal was Anderes als Slo-Mo-Walzriffs hören könnte. Eine Mischung, die mich etwas an die ollen TOTENMOND erinnert. Was man live schwer heraushört, sind die gewitzten Texte, ich zitiere aus „Widernatürlicher Unmensch“: „Ich will die Köpfe von Jung und Alt, / die Köpfe von Groß und Klein, / die Köpfe von allen. / Ich will als Letzter über sein. / Mich schreien in Traum die Leichen an, die hier im Krieg gestorben sind. / Mich schreien in Traum die Leichen an, die hier im Krieg gestorben sind. / Ich bin über 10000 Tonnen schwer / und mein Name ist / widernatürlicher Unmensch. / Ich will Deine Frau. / Ich will Dein scheiß Auto. / Ich muss das alles kriegen. / Ich bin ganz normal, / sehe aus wie alle, / hab im Aufstand der Anständigen gedient / und drängel im Verkehr. / Ich schlage zu. / Ich mach alles kaputt. / Alles ist mir untertan. / Ich mach alles kaputt. / Ich bin über 10000 Tonnen schwer / und mein Name ist / widernatürlicher Unmensch, / Mensch, / man.“

Steffen: Anfangs irritiert es mich, daß A. Donnermann unter den sähmig summenden Akkorden des Gitarristen Herr Herrn Bommels alles dichtklöppelt. War bei ASEETHE halt anders. Und abgesehen davon passiert nicht gerade viel. Kurz bevor ich endgültig „Viel Strom, wenig Licht“ denke, kommt aber eine Passage mit deutsch geshoutetem Gesang, die mich irgendwie berührt, vielleicht weil sie mir suggeriert, daß sich hinter dem lakonischen und betont unstylishen Habitus der Musiker mindestens ein genuines Sensibelchen verbirgt. Kurz danach kommt das Grindgeratter, und das Bild vervollständigt sich. Ich muß um 1-2 Ecken an JAPANISCHE KAMPFHÖRSPIELE denken und bewundere den eigenbrötlerischen Ansatz dieser zwei Käuze. Und dazu gehören, wie Philipp schon schrieb, zwingend die zwischen seltsamem Humor und Empathie oszillierenden Texte sowie der ironische Umgang mit Gepflogenheiten: Ein an der Grenze des Möglichen gekeiftes Stück namens „Antifeind“ hat folgende Lyrics: „Ich weiss selber nicht warum / Ich kann dich einfach leiden / Antifeind ich bleib bei dir / Es ist eben einfach so / Ich hab dich einfach gern / Antifeind ich bleib bei dir / Antifeind“. Schluchz! Das hoffentlich bald erscheinende Doppelalbum „Kein Stress Till Death“ ist jedenfalls schon so gut wie gekauft.

Philipp: Ein weiteres Duo sind VILE CREATURE aus Kanada, die grob gesehen in eine ähnliche Kerbe wie ASSEETHE schlagen, aber in der Variante „rumpelig und losgelassen“, um wieder DreMu-Kollege Steffen zu zitieren. Unbedingt erwähnenswert sind die Themen, denen sich VILE CREATURE in ihren Texten widmen, nämlich „Anti-Opression, Animal Rights, Our Animal Companions“. Vic bedient das Schlagzeug, KW lässt die Gitarre durch mehrere Stacks röhren, beide kreischen und brüllen dazu. Kratzige Gitarrensounds mit viel Reverb, polterndes Schlagzeug, Noise-Samples und der Kreisch/Growl-Wechselgesang stehen für den Soundtrack der Apocalypse. VILE CREATURE komponieren gern Songs in Überlänge, klingen dabei aber für mich sehr lebendig. Mittlerweile haben VILE CREATURE auf dem Roadburn gespielt – und zwar gleich zwei Shows, von denen die erste derart gefragt war, dass eine dreistellige Anzahl von Besucher*Innen nicht mehr in den Saal gelassen werden konnten. Geradezu frappierend der Gegensatz zu Kiel, wo die Band vor gerade mal einer Handvoll Leuten spielt. Wobei sowohl Band als auch den Publikum die Intimität des Augenblicks zu genießen scheinen. Was mich freut, ist die Tatsache, dass fast jede*r Anwesende später einen Tonträger am Merch abgreift.

Steffen: Und wieder doomt es anders. Ich gestehe, ich muß mich an VILE CREATURE erstmal ein wenig gewöhnen, wozu auch gehört, daß ich es irgendwann schaffe, gewisse muckerpolizeiliche Hirninhaltsrudimente über Bord zu werfen. Gegenüber der beinah sachlichen Strenge des ASEETHE-Materials wirkt VILE CREATUREs Songwriting viel assoziativer, manchmal fast improvisiert. KW Campols Gitarrensound ist der Gewaltigste von allen, so daß Ace Riff ihn irgendwann bittet, sein Gelöte leiser zu machen. Kein Problem. Die Leidenschaft, mit der beide Musiker_innen bei der Sache sind, reißt mich mit. Das Ganze verströmt bei aller Brutalität einen lieblichen Charme, schwer zu greifen und hat wahrscheinlich mit der sympathischen Aura von KW und Vic zu tun. (Absolute Zustimmung! Philipp)

Musikalisch packen mich VILE CREATURE erst so richtig, als ich zu Hause die „Preservation Rituals“ einlege, eine CD-Compilation ihres bisherigen Gesamtwerks inkl. einer Audiobook-Version der ihrem 2018er Album „Cast Of Static And Smoke!“ zugrundeliegenden Kurzgeschichte. Großartiger Release, der den Auftritt in der ollen Meierei für mich im Nachhinein zum Höhepunkt des Tages macht. Ich hatte auch überlegt, mir das T-Shirt mit den 3 aufgespießten Köpfen zu kaufen, unter denen sinngemäß steht, daß ein schneller Tod für die Unterdrücker dieser Welt noch viel zu gut sei. Eine Aussage, der unbedingt beizupflichten ist, aber das kann ich weder zu Hause noch auf der Arbeit tragen.

Philipp: Ein hervorragender Abend mit mal wieder viel zu wenig Zuschauer*innen. Spread the word!

Steffen: Jau, eine Volksverdoomung, die sich gewaschen hat. Ich teile das Bedauern über zu wenig Volk, obwohl ich selber auch nur jedes 49te Mal vor Ort bin.

www.dremufuestias.de