Review von Philipp Wolter – www.dremufuestias.de
Die heutige Veranstaltung ist definitiv “more than music”, handelt es sich dabei schließlich nicht um ein reguläres Konzert, bzw. nicht nur, sondern um eine Soli-Veranstaltung für den Wagenplatz Schlagloch.
Von der Existenz der Schlagloch-Leute hat bestimmt jede*r schon etwas mitbekommen, schließlich gab es einen recht großen medialen Rummel um die Möbel-Kraft-Fläche. Zu den Hintergründen zitiere ich den Text vom Flyer:
“Am 28.4. haben wir mit unseren Wagen einen Teil der ehemaligen Kleingartenanlage Prüner Schlag besetzt. Dort wurde vier Wochen lang getanzt, gelacht, diskutiert, und gemeinsam mit euch wurde die brachliegende Fläche wiederbelebt. Die große Solidarität vieler Menschen zeigt, dass es sich lohnt für Freiräume in dieser Stadt zu kämpfen, dass sie gewünscht und gebraucht werden. Der Eigentümer der Fläche (Möbel Kraft) sah das anders: Hausfriedensbruch! Am 29.5. wurde das Gelände geräumt und wir mussten umziehen. Nach zwei Wochen auf dem Seitenstreifen am Hasseldieksdammer Weg, mit viel Hupen und Straßenlärm, gab es erneut einen Räumungstitel, diesmal vom Ordnungsamt. Also hieß es wieder in kürzester Zeit zusammenpacken und weiterziehen. Inzwischen stehen wir mit unseren Wagen und Lastern am Ende der Hofteichstraße, doch wer weiß wie lange noch… Zwar gibt es Gespräche mit der Stadt, doch ob und wann es eine legale Fläche für unseren Wagenplatz geben wird, steht noch in den Sternen.
Durch das zivilrechtliche Verfahren von Möbelkraft gegen uns sind Kosten im 4-stelligen Bereich entstanden, die wir wahrscheinlich bezahlen werden müssen.
Diese Party ist einerseits ein fettes Dankeschön an alle, die uns in den letzten Monaten so großartig und solidarisch unterstützt haben und soll andererseits ein bisschen Kohle für die Repressionskosten einbringen. Von ein paar tausend Euro lassen wir uns nicht einschüchtern, diese Stadt braucht mehr Freiraum!
Wir machen weiter!
Wagenleben, Leben wagen!
Für mehr Schlaglöcher im Fundament der herrschenden Verhältnisse!”
http://schlagloch.blogsport.eu/ | www.altemeierei.de
Interessanterweise zieht die Veranstaltung viele Leute, die ich noch nie in der Meierei gesehen habe, während viele der üblichen Verdächtigen fehlen. Ersteres ist natürlich super, letzteres möglicherweise mit dem ebenfalls an diesem Wochenende stattfindenden Wutzrock zu erklären.
Manche Bandnamen können mehr! So schaffen es die Platten-Oi!-Punks aus Hohenschönhausen gleich DREI Oi!s in ihrem Namen unterzubringen. ROi!m- & StrOi!-FahrzOi!ge hätten somit wie weiland ZZZ HACKER den Eintrag ins Guiness-Buch der Rekorde verdient, die mit ihrem Namen eine ähnliche Maßgabe erfüllt haben, nämlich noch hinter ZZ TOP im Alphabet der Stromgitarrenbands zu landen. Eine Parallele dürfte auch der Rumpelfaktor sein, der beiden Bands gemein ist. Ich ärger mich ja immer, wenn ich Bands erst sehe, wenn sie schon voll professionell geworden sind. Das ist bei RSF bestimmt nicht der Fall… Kein Song besitzt ein klar definiertes Ende – entweder hört der Drummer irgendwann einfach auf oder der Gitarrist. Die Sängerin lässt sich jedoch vom unerhörtesten Gerumpel nicht aus der Ruhe bringen und informiert uns ausführlich über die Hintergründe der Texte. Da geht es um Wohnprojekte in Ost-Berlin, staatliche Repressionen und ganz viel Oi! Immer wieder schmettern die Besucher*innen die unwiderstehlichen Refrains mit, die häufig auf “Oi! Oi! Oi!” enden. Dabei tut sich eine ca. achtköpfige Gruppe besonders hervor, die zwischen den Liedern auch gerne mal “OST-BERLIN! OST-BERLIN!” skandiert und wohl auch aus Hohenschönhausen stammt… Die Claqueure erzwingen sogar eine Zugabe, über die ich mich aber ohne Scheiß auch freue. Denn ich fühle mich bei RSF bestens unterhalten – weiter so!
Nun packt mich der Cocktaildurst und ich begebe mich nach draußen, wo die Biester aus einem Wagen heraus offeriert werden. Es gilt Qualität, Angebotsbreite und Preise zu checken. Welche Cocktails es denn gebe? „Joah, Cola-Korn, Brodersen und Pfeffi!“, lautet die Antwort. Da Brodersen noch am ehesten die Kriterien erfüllt, wähle ich dieses antifaschistische Getränk, allerdings unter der Maßgabe, wenigstens ein Cocktailschirmchen oder möglichst noch einen Zuckerrand am Glas zu bekommen. Stattdessen wird mir eine Pulle Alsterwasser in die Pranken gedrückt, aus der ich für den noch hineinzuschüttenden Gin etwas abtrinken solle. Pfff, na gut, ist ja für einen guten Zweck…
Von DIARRHEA DISCO wusste ich bisher, dass Lisa, Svea, Henrik und andere Nasen eine Art Powerviolence/Crustpunk zocken. Bisher hatte ich jedes Konzert der Bande verpasst und bin nun hart gespannt. Was auch immer meine Erwartungen gewesen sein mögen – sie werden locker übertroffen! Lisa und Svea sind ein dynamisches Duo, hier ergeben zwei Stimmen mal wirklich Sinn. Denn während Svea (endlich mal wieder) derbe kreischt und schreit, bölkt Lisa ultraböse Growls à la Karl Willets raus. Und damit nicht genug: Bei Powerviolence könnte mensch oder tier ja an monotones Getrümmer denken. Gut, um Getrümmer handelt es sich durchaus, aber abwechslungsreich und mit kranken Ideen versetzt. Henrik lässt seine Tentakel über sein Instrument gleiten, Bass und Schlagzeug eskalieren, bis der Brodersen in meinem Bauch Wellen schlägt. Geil, psychedelischer Ballerpunk, gefällt mir! Svea schimpft wiederholt mit den Mischer*innen, bis ihrer Meinung nach alles gut zu hören ist, was an sich schon amüsant zu beobachten ist. Mit Songtiteln kann ich nicht dienen, aber was ich so heraushöre („hrrrnf!“, „aaaaaarrrrghhh!“, „uuuuuugh!“) zeugt von tiefen Gefühlen. Ich kann es nicht leugnen: DIARRHEA DISCO haben mich angefixt!
Nichts gegen DJ-Action, aber danach kann nichts mehr kommen, also schwinge ich mich auf meinen Drahtesel und brause wech in die Nacht.