500 Jahre Rotten Sprotten

Bullenschweiss, Die Bullen, Mülheim Asozial / 07.12.2013 – Kiel, Alte Meierei

„Ey, hasse gehört? In der Meierei gibbet FREIBIER! Und ‘ne Scheiße-Tombola! Punkbands sollen sogar auch noch spielen. Und scheiß auf Filmriss, dat wird alles auf Fotto gemacht!“

„Wa, ächt, ey? Aber da verderben uns doch wieder die BULLEN den ganzen Spaß!“

„Quatsch, die kriegn aufs Maul! Denn es ist FÜNF JAHRE ROTTEN SPROTTEN!“

Ja, so oder ähnlich. Ich also auch hart pünktlich an der Meierei. Beim Löhnen werde ich sofort an soziale Pflichten erinnert: „Klasse, du moderierst dann den ersten Teil der Scheiße-Tombola!“ – „Äh, ja?“, versuche ich die drohende Arbeitsbelastung abzuwenden, aber ich erinnere mich selbst dunkel, dass die Rotten Sprotten mich in einem schwachen Moment erwischt hatten.

Egal, erst mal sofort 7“ und LP von Mülheim Asozial abernten. Schlau so, denn die Hunde fahren später sofort nach ihrem Auftritt zurück innen Pott.

Bereits jetzt füllt es sich enorm. Im Café haben Marc Gärtner (PUNXELATED-Fotozine, extra aus Bonn mit dem Zug angereist) und Jan ML eine Ecke zum Fotografieren eingerichtet. Mittels Fotodrucker werden die Biester sofort ausgedruckt und gegen 50 Cent erhält man ‘ne Kopie. Auf einem Tisch liegen Accessoires, die für so ein Motiv lebenswichtig sind – Patronengürte, lustige Hüte, Nietenarmbänder etc.. Erfreulicherweise wird die Aktion voll angenommen, die Leute stürzen sich auf unsere wackeren Fotografen, gleich auf dem dritten Bild liegen nicht nur die Nerven blank, später torkeln ganze Gruppen vor die Linsen…

Rechts von der Bühne läuft ‘ne Dia-Show mit alten Fotos von Rotten-Sprotten-Konzis. Voll gut, da kann man mal hinglotzen, wen man sonst nichts zu tun hat (was allerdings kaum der Fall ist). Immer mehr Bekannte trudeln ein, aber auch wieder mal viele Fratzen, die man hier noch nie gesehen hat. Gut!

Da MÜLHEIM ASOZIAL früh wieder abhauen müssen, zocken sie gleich als erste Band. Es dauert nicht lange, bis sie den Kieler Pöbel im Sack haben. Nach einigen Songs ist die Hölle los, Bauernpogo galore und Biertrinken wird zum Risiko, wenn man auf Zähne steht. Nach den Berichten in zahllosen Zines waren die Erwartungen hoch, MÜLHEIM ASOZIAL erfüllen die aber mühelos allein schon optisch. Geile Radler- und Spandexhosen, hochgezogen bis zum Anschlag, Nietengürtel drüber, fertich. Ich muss an die guten alten HUMAN PUNX denken, ob des Ruhrpott-Slangs auch an EISENPIMMEL, obwohl MA klar besser sind, zumindest besser als letztere. Der Sänger Wiener weiß, was Sache ist: „Wenn ihr eine Wanne seht – immer angreifen. Damit könnt ihr nichts verkehrt machen.“ (Ansage zu „Bullen / Pisse“). Für Furore sorgt auch das JUDAS-PRIEST-Cover von „Breaking The Law“, hier „Pommes Rot/Weiß“. Plötzlich wird der Pogowahnsinn unterbrochen, der Schlagzeuger kommt nach vorne und schnappt sich ein Mikro. Vom Band kommt ein stumpfer HipHop-Beat in ‘ner Schleife, über den nun der „Sound der Straße“ gerappt wird. Haha, was für ein Text! Und der wird auch noch genau so gesungen, wie man es von diesen Rap-Chabos kennt. „Das ist das Ghetto, Junge, unsere Regeln raffst du nie, du pisst dir in die Baggy, wollt ihr den totalen G, ich stapel tote Wreck-MCs in meiner Garage; DAS IST MÜLHEIM ASOZIAL – DER SOUND DER STRAßE!“ Großes Kino, den Refrain brüllen natürlich alle mit. „Scheiße / Geil“ erinnert textlich an AFFENMESSERKAMPFs „Gut, aber Kacke“, trotzdem gut und herrlich stumpf. Höhepunkte auch die beiden Songs der 7“ „Ey, die Hunde!“ und „Bomben auf den Rheinauhafen“, mit denen MA natürlich auch Kieler Punketten und Punkern aus der Seele sprechen, hier müsste es halt „Bomben auf die Hörn“ heißen. Insgesamt ein gigantischer Spaß, die Band kommt frisch rüber und hat ‘nen Sack voll gelungener Songs/Texte am Start. LP und 7“ lohnen beide!

Nun kommt die nächste Palette Freibier (Felix hatte dem Mob bereits vor MA eine vor den Rachen geschleudert), lecker Slots. Das Timing ist geschickt, denn so drändeln sich die gierigen Kehlen vor die Bühne, statt draußen eine schmöken zu gehen. Die Rotten-Crew hat gespendete Gewinne gebunkert, ich spiele Losfee und ziehe Nummern, die ich dann Dieter-Thomas-Heck-mäßig verkünde. Macht Laune, ein wenig Glück zu spenden und Frieden und Freude in die Herzen der Menschen eindringen zu lassen. Da lacht der kleine Hippie in mir, zumal ich selbst ein REAGAN YOUTH-Shirt abstaube, welches einer Besucherin zu groß ist. Hannes hingegen gewinnt ein Heavy-Metal-T-Shirt mit Camouflage-Muster und dem Backprint „Metal Is War“.

Die Bullen sind da! Nach dem sensationellen Debut-Gig in der T-Stube wird heute noch einer draufgelegt. Natürlich sind alle vier wieder im kompletten Bullen-Outfit samt Sonnenbrillen, Schlagstöckern, Schnauzbärten und Donuts. JoyBoy hat hart an seiner Rolle gearbeitet und verzieht während des gesamten Auftritts nicht eine Miene. Selbst als ihn eine Bierdose voll an der Birne trifft, reagiert er noch mit einem autoritären „Aua“. Hannes‘ Deeskalationstaktik („Wenn hier noch mehr Flaschen fliegen, dann greifen wir durch!“) führt eher zu erhöhter Dosenhaltigkeit in der Luft. Begeisterung oder Hass? Interessanterweise gibt es heute zumindest ein paar Leute im Mob, die mit DIE BULLEN, ihren Klamotten und/oder ihrem Konzept mal so gar nicht klarkommen. Zufällig höre ich beim Bierholen ein Gespräch am Tresen: „Ey, aber du findest doch auch MÜLHEIM ASOZIAL gut! Das sind ebenfalls Texte, die mit Ironie und Übertreibung arbeiten!“ – „Nein, die singen darüber, dass Bullen scheiße sind! Ich hab schon so oft von Bullen aufs Maul bekommen, ich kann das nicht ertragen, wenn ich die Wichser da auf der Bühne in Uniformen sehe!“ Naja, alle anderen genießen den Auftritt sehr und dürften es auch raffen, wie es gemeint ist, wenn Hannes im Publikum zu rekrutieren sucht und angehenden Jungbullen zünftige Knüppelorgien verspricht: „Du wirst nicht glauben, was für ein Spaß das ist!“ Die Refrains werden mitgebrüllt, ich entdecke jetzt beim zweiten Mal wieder neue Favoriten, kann mir nur noch nicht bei allen die Titel merken. Sehr geil ist der abschließende Song „Feierabend“, herrlicher Text, Refrain mit so CREETINS-artigen O-ho-hos im Background, die Meierei dreht nochmal komplett am Rad.

Das einzige, was mich am heutigen Abend ärgert, ist, dass ich das Fotoshooting mit den BULLEN verpasst habe. Das hatte offenbar während des Auftritts von MA stattgefunden. Schade, ich hätte mich so gern mit ihnen ablichten lassen! Dafür ackert Herb fein in der Küche und lässt den Nachschub an veganen Burgern bis tief in die Nacht nicht abbrechen. Scheiße, ist das lecker!

Nach einer weiteren Freibier-Rutsche und glücklichen Tombola-Gewinner_innen (sehr schön moderiert von Hannes) geht es auch ruckzuck weiter mit Bullenschweiss. Der Dreier aus Mannheim hat es drauf, die Leute derart anzupöbeln, dass jetzt NOCH mehr Dosen fliegen. Noch schneller als die Originale werden „Deutschpunkrevolte“ (WTZ), „Wochenendticket“ (Terrorgruppe), „Linke Spießer“ (SLIME) usw. runtergerüpelt. Ich mag ja Bands, bei denen jedes Bandmitglied schneller sein will als die anderen. Und dazu diese Stücke, die man fast alle auswendig mitbölken kann – der perfekte Abschluss für den Liveteil des Abends. Trotz aller Bierdosenvolltreffer auf die Köpfe, Instrumente und Körper der drei Deutschpunker bleiben selbige gelassen – man ist offenbar Schlimmeres gewohnt… Als Höhepunkte empfinde ich „Vaterland“ von VORKRIEGSJUGEND, dessen Text man doch einfach mögen muss: „Drum erheb‘ ich meine Hand gegen mein Vaterland. Drum erheb‘ ich meine Hand gegen deutsches Vaterland!“, und „Nacht im Ghetto“ von RAZZIA, auch so ein Stück, welches dich nicht loslässt. Die Meierei sieht danach vollständig eingesaut aus, sodass es erstaunlich ist, dass die Rotten Sprotten nicht mal einen Tag brauchen, um wieder alles auf den gewohnten Hochglanz zu polieren.

Danach beherrscht DJ Bert die Nacht und legt eine abgefahrene Mischung auf die Teller. Dem Guten ist nichts heilig, da kann auf einen Punk-Kracher irgendein Hippie-Rock folgen. Kommt aber genau richtig so, ein großer Teil denkt noch lange nicht daran, zu gehen, Marc und Jan werden noch heftig umlagert und schließlich ist sogar das Bier am Tresen ausverkauft bzw. gibt es nur noch so eine komische Plörre.

Würdiger Geburtstag! Auf die nächsten 500 Jahre Rottensprotten Entertainment!

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