Wichtigste kulturelle Veranstaltung in S-H

KIEL EXPLODE FESTIVAL III / 22.06.2013 – Kiel, Alte Meierei

So, ich war am Sonnabend dann doch noch auf dem Kiel Explode, hier mein Bericht:

Nach dem Abendbrot friemel ich mühsam mein Fahrrad aus unserem vollgemüllten Kellerraum und muss erstmal pumpen.

Um kurz nach acht bin ich auf der Piste. Hatte ich am Nachmittag noch ein nachsichtiges Lächeln für die Kieler Woche-Besucher übrig gehabt (ist ja doch ganz nett und entspannt, alle schon am Nachmittag so mit Popperbier und Strandklamotten), erfüllt mich angesichts besoffener Mittzwanzigerhorden nun wieder nur Abscheu. Sie haben keinen Humor, aber sie wissen’s nicht. Kaum bin ich an diesem grauen, aber bis jetzt trockenen Tag zwei Minuten draußen, fängt es an zu regnen.

Nass komme ich an und nicht rein, weil gerade Massen aus der Meierei rausströmen. Ich freue mich über den Andrang, beschließe zu zahlen, mir ein Bier zu kaufen und nach einer halben Stunde wieder nach Hause zu fahren. Treffe dann aber drinnen Olli und einen Freund von ihm namens Lasse, Lasse trägt eine Jeanskutte mit D. R. I.-Aufnäher (meine ich). Die beiden sind ganz gut angeschickert und überreden mich, mit nach draußen zu kommen und Fako (Fanta + Korn, möglichst „Fuck-o“ gesprochen, mit hartem K) zu trinken.

Das Getränk wird an einem Stand neben der Meierei in Plastikbechern für einen Euro verkauft. Um die Gäste draußen bei Laune zu halten, läuft aus einem zu einem Lautsprecher umgebauten gelben Müllcontainer richtig räudiger Hardcore-Techno, wie es ihn vermutlich seit spätestens Anfang der Neunziger gibt. Nicht so schnell wie Gabber, aber noch stumpfer. Ich bin skeptisch bezüglich des Fako, da ich Korn nicht mag und davon immer husten und manchmal würgen muss, aber der Trick mit der Fanta funktioniert tatsächlich. Ich trinke gleich zwei, rauche und höre mir Geschichten aus der 90er-Jugend in Eckernförde an. Die Musik fängt an, mir zu gefallen, ich weiß, dass ich nun bereit für das eigentliche Konzert bin.

Wir gehen rein und es spielen die Kieler Affenmesserkampf, eine Deutschpunkband. Deutschpunk ist ja wegen Turbostaat wieder salonfähig, Intro hatte da neulich ein Themenheft drüber. Mich interessiert’s immer noch nicht, aber mir fällt auf, dass mich die Band nicht nervt. Ich bin schon zu besoffen, um die Musik wirklich differenziert wahrzunehmen, aber in meiner Erinnerung ist das für Deutschpunk zu komplex, eher so Hardcore, The Bronx oder Books Lie, aber sehr schnell, die Lieder dauern gefühlt meistens nur ’ne Minute.

Ich sehe mich um und stelle fest, dass ich neben einer autonomen Büchertheke stehe. Bände der Reihe theorie.org werden verkauft. Ich sehe mir alle genau an und kaufe schließlich einen, „Kritik der Religion und Esoterik“. Sofort fange ich an zu lesen, kann mich aber nach drei Seiten nicht mehr konzentrieren und kaufe weiteres Bier. Als nächstes spielt eine völlig langweilige amerikanische Punkband.

Draußen rauchend sehe ich mir den Plattenstand an und stelle fest, dass Cursed (in meinen Augen eine der besten HC-Bands überhaupt) ihren Nachlass auf LP gepresst haben. Außerdem gibt es neue Platten von 3 Mile Pilot und Black Heart Procession. Ich habe keine Lust, mit Platten rumzurennen, spreche aber mit André. Er bestätigt, dass Cursed DIE Cursed sind, und meint, wenn er sich zwischen 3 Mile Pilot und BHP entscheiden müsse, würde er wohl die 3 Mile Pilot wählen, da eingängiger und ansprechender. Vielleicht fahre ich in den Ferien nochmal zu ihm und kaufe mir die Cursed und evtl. noch eine von den anderen.

Dann kommen Planks und sind nach einem schrecklich langen Soundcheck sehr gut. Ich freue mich, dass sie nicht in die Postrock-/Isis-/Mogwai-Falle tappen und klingen wie alle, sondern immer noch durchgehend knallen, aber auf eine eigene, ein bisschen epische Art, nicht so Standard-Neocrust.

Von der letzten Band, Hexis, weiß ich nur, dass Ingo und ich vor anderthalb Jahren mal keine Lust hatten, in einer schrecklich kalten Winternacht durch’s vereiste Kiel zu fahren oder zu laufen, um uns die anzusehen, dass sie wohl aber sehr gut gewesen sein sollen. Was mich nicht auf die nächsten, hm, zwanzig Minuten (es war leider ein bisschen sehr kurz) vorbereitet.

In manchmal absoluter Dunkelheit, dann auch bei Stroboskoplicht und Kunstnebel bescheren mir ein paar bubihafte Dänen das körperlich intensivste Konzerterlebnis seit Techno Animal Ende der Neunziger. Vor allem das Schlagzeug (ständige Doublebass-Attacken) kommt so hart, dass es sich anfühlt, als würden einem permanent alle Organe durchmassiert. Sie spielen Black Metal mit Industrial/Godflesh-Schlagseite wie Thorns oder Blut aus Nord, haben in den Riffs aber auch eine Kanada-Düstercore-Note (One-Eyed God Prophecy und so), so dass ich nach dieser Sound-Eisdusche erstmal zu Klemsen rennen und so ’ne Besoffenen-Pointe, etwa „Uranus-meets-Scooter“, raushauen muss, was aber dumm ist und humormäßig erschreckend in Richtung Kieler Woche-Besucher (s. o.) geht. Egal, schämen kann ich mich morgen, ich muss mir erstmal ’ne CD von denen kaufen, lass mir dann noch ein T-Shirt aufquatschen, ist aber auch sehr schick, ist das Innere einer Kirche drauf.

Leider gibt’s keine veganen Burger mehr, obwohl ich großen Hunger habe, sind schon ausverkauft gewesen, als ich ankam, mein ich. Die Versorgung sollte durchgehend gewährleistet sein, zumal man gegen Ende meistens den größten Hunger hat. Einziger Minuspunkt.

Ok, gut angetütert nach Hause gefahren, noch zwei Toast gegessen und hingelegt.

Abschließend kann ich festhalten: Das Kiel Explode ist und bleibt die wichtigste kulturelle Veranstaltung Schleswig-Holsteins.

Klemsen, vielen Dank für’s Organisieren mal wieder, ich kann mir lebhaft vorstellen, wie schwierig das ist, mich hat vor zwei Jahren schon die Planung einer Klassenfahrt nach Hohwacht heillos überfordert, obwohl ich Hilfe von der Herbergsmutter hatte.

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