Ein 95jähiger Kommunist in der Meierei

Review für die Homepage der Alten Meierei.

Am 10.12. und 11.12. hatten wir, die Linksjugend (’solid) Schleswig-Holstein, Theodor Bergmann nach Kiel eingeladen. Am Samstag zeigten wir den Film „Dann fangen wir von vorne an“ in der Alten Meierei. Theodor war selbst anwesend und stellte sich in der anschließenden Diskussion den Fragen der Genossinnen und Genossen. Es kamen über 70 Menschen zur Filmvorführung, die gute alte Meierei diente an diesem Samstag als Treffpunkt der Kieler Linken, denn nur ein geringer Teil der Anwesenden kam aus unserem Landesverband der Solid. Das fanden wir gut!
Anschließend gab es sozialistischen Eintopf (veganes Kartoffelgulasch) und Mucke von den Plattentellern (Trash, Punk, Elektro und Arbeiterlieder) vom Genossen DJ. Zu unserer Jahresabschlussparty blieben nicht so viele, aber das macht nichts. Politik machen können wir. Wie gute Partys gehen, lernen wir noch irgendwann von dir, liebe Meierei.

Die Meierei und Theodor

Theodor sparte nicht mit Kritik an dir. Du musstest dir anhören, dass du ein wenig in die Jahre gekommen bist und eine Renovierung dringend nötig hättest. Deine Nutzer_innen dürften nicht so niedrige Ansprüche an dich stellen. Damals als du wohl noch so ein olles Fabrikgebäude warst, hatte der junge Theodor andere Ansprüche an politische Zentren als die Bewohner_innen und Nutzer_innen der Alten Meierei heute. Die Stadt müsse Geld investieren und wir, die Kieler Linken, dafür kämpfen. Gegen eine Räumung deiner Bewohner_innen und den Abriss sprach er sich natürlich aus. Erst als er erfuhr, dass du ein wichtiger Treffpunkt der linken Szene bist, war er mit dir etwas versöhnt. Nachsichtig solltest du, liebe Meierei, schon mit ihm sein, er ist ja bloß 11 Jahre jünger als du und hat sich gut gehalten und Recht hat er ja irgendwie auch noch.

Dann fangen wir von vorne an!

„Dann fangen wir von vorne an“, ein abgewandeltes Zitat von Friedrich Engels, passt treffend zum kritischen Kommunisten Theodor Bergmann, der Niederlage für Niederlage der internationalen Arbeiterbewegung miterlebte und trotzdem bis heute Marxist und stets optimistisch geblieben ist. So macht es ihm Freude, mit jungen Leuten ins Gespräch zu kommen, die schließlich die kommenden Kämpfe austragen werden und sich deshalb bilden und organisieren müssten. Ihm gelingt, Vergangenes lebendig zu erzählen, er plädiert dafür, aus Fehlern und Niederlagen zu lernen. Der Kommunismus sei kein monolithischer Block, Kommunistinnen und Kommunisten müssten wieder lernen zu diskutieren.
Theodor Bergmann, geboren 1916 als Sohn eines Rabbiners, wurde in der Weimarer Republik politisiert und schloss sich der zum stalinistischen Kurs der KPD in Opposition stehenden kleinen Gruppe KPD-Opposition an. August Thalheimer, einer der Wortführer der KPD-O, erkannte neben anderen oppositionellen Kommunisten wie Leo Trotzki, dass der Faschismus die größte Bedrohung für die Existenz der gesamten Linken ist und kämpfte vehement gegen die von der Sozialfaschismus-These geleitete Praxis der damaligen KPD. Nur die Einheitsfront aller Arbeiterorganisationen könne den Faschismus noch aufhalten, so Thalheimers Standpunkt.
1933 waren alle Linken in Deutschland wie gelähmt, wie Theodor erzählte. Nach der Machtübergabe an Hitler blieb auch ihm nur das Exil. Von 1933 bis 1936 arbeitete Theodor in einem Kibbuz in Palästina, danach ging er nach Tschechien und schließlich nach Schweden.
Spanien war die letzte Bastion des revolutionären Proletariats, auch Theodor wollte die Genossinnen und Genossen im Kampf gegen Franco unterstützen. Doch sein Bruder hielt ihn zurück, in Spanien saßen bereits oppositionelle Kommunist_innen und Anarchist_innen in den Knästen. Geprägt vom Kampf gegen die Politik Stalins und entschlossen im postfaschistischen Deutschland eine unabhängige sozialistische Opposition aufzubauen, entschied er sich gegen ein Leben in der SBZ, der späteren DDR, sondern blieb in Westdeutschland, wo er schließlich an der Universität Hohenheim promovierte und später Professor für international vergleichende Agrarpolitik wurde. Aktiv blieb Theodor Bergmann in der KPD-O Nachfolgeorganisation, der Gruppe Arbeiterpolitik, und trat 1990 in die PDS ein, nachdem diese sich vom Kurs der SED abwandte. Bergmann ist Autor, Herausgeber und Übersetzer von mittlerweile 50 Büchern zur Agrarpolitik und zur Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung. Seine Publikationen zur Geschichte der Arbeiterbewegung sind im VSA-Verlag erschienen. Nach seiner Pensionierung reiste er viel herum, schaute sich die halbe Welt an. Auch in China war er etliche Male. Seine Position, dass China auf dem Weg zum Sozialismus sei, trifft wohl bei Vielen auf Unverständnis. In seiner Analyse leugnet er jedoch keineswegs die vielen Probleme in China, den Unterschied von arm und reich, die Streiks und schlechten Arbeitsbedingungen usw. Doch Theodor ist Optimist und er sieht das China nach Mao auf dem richtigen Weg.

Der 100-jährige Krieg um Israel

Seine aktuelle Publikation stellte er am Sonntag den ca. 20 Anwesenden in der Pumpe vor. „Der 100-jährige Krieg um Israel“ ist eine internationalistische Positionierung eines kritischen Kommunisten, dem bewusst ist, dass es eine Geschichte vor und eine nach Auschwitz gibt. Er plädiert für eine Versachlichung der meist schwierigen und emotional aufgeladenen Debatte und begann in seinen Vortrag zunächst die Geschichte der Juden in Palästina und die Geschichte Israels zu erläutern. Es ist ihm schließlich wichtig, dass die „besonnenen Kräfte“ in Israel und Palästina aufeinander zugehen und es vielleicht in 50 oder 100 Jahren Frieden gibt, denn militärisch sei der Konflikt nicht zu lösen. Ob er Recht hat, müssten wir, die jungen Leute, ihm dann per e-mail in die Hölle mitteilen, wie Theodor mit einem Augenzwinkern bemerkte.
Er stellte interessante Fakten und Fehler der israelischen Politik dar, er verurteilte die Siedlungspolitik, betonte jedoch gleichzeitig, dass Israel die einzige bürgerliche Demokratie im Nahen Osten ist. Wie jede bürgerliche Demokratie hat diese ihre Defizite. Doch während im Iran Kommunist_innen in den Gefängnissen sitzen oder umgebracht werden, gibt es in Israel eine legale kommunistische Partei. Israel ist zudem kein Apartheidsstaat. Natürlich werden auch in Israel Minderheiten benachteiligt, so Theodor, doch dies ist auch in Deutschland der Fall. Die Stärke Theodors Position liegt darin, dass er nicht mit zweierlei Maß auf Israel schaut, sondern die grundsätzlichen Schwächen der bürgerlichen Demokratie herausstellt und trotzdem ihre Vorteile gegenüber einem reaktionären Regime, wie dem im Iran, betont.

In seiner Erläuterung der Geschichte Israels wurde deutlich, dass dieses kleine Land sich seit seiner Existenz nur auf sich selber verlassen konnte. Ohne eigene Fähigkeit sich selbst zu verteidigen, wäre Israel schon längst dem Erdboden gleich gemacht worden.
Es waren je nach machtpolitischem Kalkül der Großmächte, mal China, mal die Sowjetunion, mal die USA, Frankreich, Deutschland oder England, von denen Israel Unterstützung erhielt. Israel hätte sich durch kluge Politik stets Bündnispartner organisiert, konnte sich jedoch nur auf sich selbst verlassen. Israel ist daher keineswegs Vorposten des Westens oder der USA im Nahen Osten, dies hält Theodor für ausgemachten Blödsinn. Anwesende Leser_innen der Tageszeitung „junge Welt“ mussten sich von ihm heftige Kritik an deren Nahost-Position anhören.
Im Großen und Ganzen war es eine gelungene Veranstaltung und vor allem eine sachliche Debatte.

Theodor hat es gut gefallen in Kiel, beide Veranstaltungen waren aus seiner Sicht gelungen, sodass er uns bereits mitteilte, dass er im nächsten Jahr gerne wieder was mit uns machen will. Solch eine emsige Rastlosigkeit beeindruckt uns!