Gegen „Zensus 2011“!

Dokumentation eines Flugblatts gegen den „Zensus 2011“.


Wenn jemand deine Wäsche durchwühlt und auch noch Deine Hilfe erwartet … oder: ZENSUS 2011

„Zensus 2011“ bezeichnet die erste allgemeine Volkszählung in der BRD seit über 20 Jahren. Parallel dazu wird ein komplettes Register aller Grundstücke und Wohnungen, durch postalische Befragung aller EigentümerInnen und VerwalterInnen, aufgebaut. Vorgabe ist eine Richtlinie der EU, an der die BRD entscheidend mitgewirkt hat – der Zensus in Deutschland geht allerdings über diese Richtline noch deutlich hinaus. Erfasst werden soll die gesamte Bevölkerung der Bundesrepublik, in die Erhebungen gehen nicht nur dem Staat bereits bekannte Informationen aus Meldeämtern und Behörden ein, die anschliessend in einer Datenbank zusammengeführt werden, sondern darüber hinaus auch Informationen weit persönlicher Natur wie z.B. über die Migrationsgeschichte und Religionszugehörigkeit. Mit den Ergebnissen der Auswertungen dieser Informationen liegt dem Staat ein umfangreicher Datensatz vor, von dem behauptet wird, eine bessere Planung staatlichen Handelns zu ermöglichen, der aber vor allem eine weitgehende Kontrolle der Menschen ermöglicht.

Die letzte direkte Volkszählung in der BRD wurde in den 80er Jahren durchgeführt. Dagegen gab es breiten Protest; viele Menschen wollten sich nicht vor dem Staat entblößen und organisierten den Widerstand gegen die Erhebung ihrer Daten. Am 15.12.1983 erklärte das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil einige Punkte des dazugehörigen Gesetzes als verfassungswidrig und formulierte das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Aber auch im zweiten Anlauf 1987 verweigerten z.B. in Hamburg 13% der Befragten die Antwort. Das war dann auch der bislang letzte Versuch einer Volkszählung.

Einige Details zum Zensus 2011

Aus dem Desaster der Volkszählung haben die StatistikerInnen aber gelernt: Der Zensus ist primär eine Datenbankzusammenführung ohne Einspruchsmöglichkeit derer, deren Daten da „zusammengeführt“ werden. Gleichzeitig ist es aber auch die erste Abgleich dieser Art und die StatistikerInnen misstrauen ihren Zahlen. Deshalb wird nochmal intensiv nachgefragt – bei WohnungsinhaberInnen und Bevölkerung.

Das Interesse gilt den persönlichen Lebens- und Wohnungssituationen: Familienstand, Bildungsniveau, Arbeitgeber (natürlich mit Adresse), Arbeitsverhältnis, Migrationshintergrund, Religionszugehörigkeit – und schließlich sogar der Telefonnummer. WohnungsbesitzerInnen sollen Auskunft erteilen über Wohnungsausstattung, Anzahl der BewohnerInnen und von bis zu zwei von ihnen auch die Namen. Dazu kommt eine 100% Sondererfassung aller „Sonderbereiche“: Krankenhäuser, Altersheime, Haftanstalten, Obdachlosenheime. Ist eine Person nicht in der Lage über sich selbst Auskunft zu geben, dann sind Mitbewohner, Aufsichtspersonal, Erziehungsberechtigte verpflichtet, diese Auskunft zu geben. VolkszählerInnen in freier Wildbahn sind aufgefordert NachbarInnen zur Denunziation anzuhalten.

Die Auswahl der „bis zu 10%“ Auskunftspflichtiger soll adressenweise per Zufall erfolgen. Befragt wird dann jeweils der gesammte Haushalt. Die ZählerInnen werden angeworben und, wenn das nicht reicht, zwangsrekrutiert. Sollte es Unstimmigkeiten zwischen den gegebenen Antworten und den Daten der Behörden geben, dann kommt die ZählerIn wieder…

Allen Personen und allen Datensätzen wird nach Verlautbarung für den Zeitraum von 4 Jahren eine Ordnungsziffer zugewiesen, die eine nachträgliche Deanonymisierung erlaubt. Unklar ist bislang, wer wie Einsicht in die Daten bei den Statistischen Ämtern bekommen kann.

Die Fragebögen an die WohnungseigentümerInnen sind bereits versendet – für die Personenzählung ist Stichtag der 9. Mai 2011. Ab diesem Zeitpunkt beginnt auch die Befragung durch die VolkszählerInnen.

Warum wir dagegen sind

Die Gründe sich dem Zensus zu widersetzen sind vielfältig. Mit der Totalerhebung wird ein weiterer Schritt in Richtung Kontroll- und Überwachungsstaat getan. Das was dem Staat bisher über die Menschen, die in ihm leben, bekannt ist, soll erneut überprüft, ergänzt und berichtigt werden. Am Ende kommt dabei ein umfassender Datensatz heraus. Dabei wird auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung missachtet. Die Daten werden Großteils hinter dem Rücken der Menschen erfasst und eine Option zur Verweigerung der Angabe von Informationen gibt es nicht.

Dies führt zu einem Datensupermarkt bei dem mit technokratische Gigantomanie die Bevölkerung auf einen Brei Datensätze reduziert wird. Es wird ein „Datenschatz“ aufgebaut, der schon fast notwendigerweise zu Begehrlichkeiten führt. Dass BehördenmitarbeiterInnen und AmtstägerInnen Laptops in Taxi und Bahn „verlieren“, ist kein neues Phänomen, dass selbst Schweizer Banken ihre Kundendaten nicht geheim halten können, schafft ein mulmiges Gefühl bezüglich der Sicherheit bei den Statistischen Ämtern.

Obwohl Daten zu Arbeitslosigkeit, Wohnungsmangel, fehlenden Kitaplätzen, usw. bekannt sind, passiert nichts – warum sollte sich durch die Volkszählung etwas ändern. Gesellschaftliche Missstände werden nicht durch fehlende Daten hervorgerufen, sondern sind zwingende Erscheinungen der kapitalistischen Verwertungsinteressen.

Warum gibt es keine freiwillige Erhebung, warum ist diese nicht anonymisiert? Hinter dem Zensus verbirgt sich ein Gewaltverhältnis zwischen denjenigen, die zählen und denjenigen denen durch die Zählung der Objektstatus zugeschrieben wird – in diesem Szenario gibt es keine Freiwilligkeit. Auf der einen Seiten stehen diejenigen, die das Datenmaterial in Wert setzen wollen, die sich vom Herrschaftswissen Vorteile bei Kontrolle und Absicherung der Verhältnisse versprechen. Den anderen werden die Daten demnächst als Totschlagsargument um die Ohren gehauen – warum Beteiligung und Mitsprache, wenn doch eh schon alles bekannt scheint.

Es ist ein technokratisches Gesellschaftsverständnis, welches hinter dem Zensus steht, welches der sozialen Realität distanziert bis feindlich gegenübersteht, welches in einer Nichtteilnahme nur sabotierende Subjektivität erkennen kann, für die sie nur die Antwort „Zwangs- und Bußgeld“ parat hat.

Der technokratische Gesellschaftsentwurf der BefürworterInnen ist nicht unser. Es ist die Arroganz der Macht, die uns zur Auskunft zwingt, um damit ihre Vision der gesellschaftliche Verhältnisse festzuschreiben.

Hier liegt auch der Unterschied zu dem Daten-Striptease, welcher auf Webplattformen wie Facebook zu beobachten ist: Die Angabe der Daten erfolgt dort freiwillig, wenn auch vielleicht mit einer fundamantalen Unkenntnis darüber, was dann mit den Daten passiert. Würde Facebook mit Zwangsgeld drohen, hätte Facebook vermutlich keine einzige NutzerIn.

Wir wollen nicht darüber spekulieren, welche Folgen der Zensus in einzelnen Bereichen haben wird. Der Umfang allein reicht. Verdächtig ist es jedoch, wenn von „Optimierung von Verwaltung und Planung“ geredet wird. „Optimierung“ kennt man beispielsweise aus betriebswirtschaftlichen Abläufen, wo eine solche „Optimierung“ in der Regel dazu führt, das weniger Leute mehr Arbeit verrichten. „Optimierung“ oder „Effizienzsteigerung“ alleine ist immer nur die halbe Wahrheit – genannt werden müsste auch die Zielvorgabe, aber dazu ist kein einziges Wort zu vernehmen.

Was tun

Wie schon in den 80ern gilt heute „Unsere Daten gehören uns“!

So wie der Zensus angelegt ist, soll er still und heimlich hinter dem Rücken der Gezählten ablaufen – diese Ruhe ist aber überhaupt nicht angebracht. Lärm schlagen und Aufmerksamkeit schaffen ist also der erste Schritt.

Angesichts des Umfangs der Erfassung kommt nur ein breiter Widerstand gegen den Zensus 2011 in Frage. Da die praktische Ausführung des Zensus kommunal organisiert wird, ist es sinnvoll zunächst auch den Widerstand auf dieser Ebene zu organisieren. Sucht also bei euch Vorort nach BündnispartnerInnen und werdet zusammen aktiv.

Der Begriff „Zensus“ soll verschleiern, dass sich prinzipiell (wenn auch nicht im Detail) das wiederholt, was 1983/87 eine breite Welle von Empörung und Widerstand erzeugt hat. Es ist legitim von einer „Volkszählung 2011“ zu sprechen und sich nicht auf das Versteckspiel mit Begriffen einzulassen.

Aktive Nichtteilnahme ist angesagt, Denunziation keine Option, den ZählerInnen wird nicht geholfen, aber immer daran denken, dass die das evtl. nicht freiwillig machen. Bildet solidarische Strukturen, die diejenigen unterstützen, die von Zwangs-, Bußgeld oder andersartiger Repression betroffen sind. Niemand darf alleine im Regen stehen.

Weitere Infos: zensus11.nadir.org