Du hast einen Brief von der Polizei erhalten?

Du hast einen Brief von der Polizei erhalten?
Die Bezirkskriminalinspektion Lübeck (Kommissariat 5) hat in der letzten Woche damit begonnen, Briefe mit dem Titel „Anhörung als Beschuldigte/r“ zu verschicken. Völlig wahllos ist gegen diejenigen, die während der Aktivitäten gegen den Nazi-Aufmarsch am 28.03.2009 in der Hansestraße und in der Fackenburger Allee festgenommen worden waren, ein Ermittlungsverfahren wegen § 125 StGB (Landfriedensbruch) eingeleitet worden.
Als Beschuldigte/r einer Straftat hast du das Recht, die Aussage zur Sache generell zu verweigern!

Falls du zum Zeitpunkt der dir vorgeworfenen Tat noch nicht 21 Jahre alt warst, lass dich durch den Satz im Kleingedruckten des Briefes der Polizei nicht irritieren. Dort wirst du lediglich „gebeten“, unverzüglich unter Vorlage des Schreibens bei deiner örtlichen Polizeidienststelle zur Vernehmung vorzusprechen. Dieser Bitte kommst du besser nicht nach, denn alles was du sagst, kann später gegen dich verwendet werden.

Was mache ich mit dem Brief?
Wenn du das Schreiben der Polizei überhaupt bekommen hast (es ist nicht als Einschreiben verschickt worden!), solltest du nur den Punkt „1. Zur Person“ ausfüllen. Die dort auszufüllenden Angaben liegen der Polizei größtenteils sowieso schon vor, da sie deinen Personalausweis bei der Festnahme in den Händen hatten. Zusätzlich wird noch der „Familienstand“ (ledig, verheiratet, …) und die „ausgeübte Tätigkeit“ abgefragt. Dort solltest du dann je nachdem Schüler/in, Student/in, Angestellte/r, Arbeiter/in, … eintragen – nicht jedoch, wo genau du zur Schule/Uni gehst oder wer dein/e Arbeitgeber/in ist bzw. was du dort für einen Abschluss machst, Studiengang besuchst oder welchen Beruf du ausübst. Das alles geht die Polizei gar nichts an. Den Rest des Briefes streichst du ganz einfach großzügig durch und schickst ihn (ohne Unterschrift!) zurück zur Polizei. Nur so bleibt wirklich gewährleistet, dass dir zu einem späteren Zeitpunkt keine unterschriebene Aussage vorgehalten werden kann.

Und wie geht es nun weiter?
Die Polizei ist lediglich das Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft. Sie sammelt Beweise und gibt die Akte nach Abschluss ihrer Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft weiter. Diese entscheidet dann, ob sie die Beweislage für so eindeutig hält, dass es ihr sinnvoll erscheint, Anklage gegen dich zu erheben oder ob sie das Verfahren gegen dich ganz einfach einstellt. Solltest du in den nächsten Monaten eine Anklageschrift bekommen, hast du immer noch Zeit genug, eine Anwältin oder einen Anwalt deines Vertrauens (mit dem Schwerpunkt Strafrecht) zu konsultieren. Diese/r kann dann Akteneinsicht beantragen und die Widersprüche in den Aussagen möglicher ZeugInnen herausarbeiten.

Landfriedensbruch? Was soll das denn sein?
§ 125 StGB Landfriedensbruch
„(1) Wer sich an
1. Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen oder
2. Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit,
die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt, …“
Erläuterung: Der Paragraph Landfriedensbruch stellt nicht nur Täter/innen sondern auch Teilnehmer/innen(!) unter Strafe, die sich in einer Menschenmenge befunden haben, aus der heraus Gewalttätigkeiten (z.B. Flaschenwürfe oder ähnliches) begangen worden sein sollen. Insofern kann dich schon die Aussage, dass du dich in dieser Menschenmenge aufgehalten hast, in Teufels Küche bringen – selbst wenn du gar nicht als Täter/in (z.B. Flaschenwerfer/in oder ähnliches) infrage kommst.
Insofern raten wir dringend: Mach keine Aussage zur Sache (weder schriftlich noch mündlich). Deine Schuld muss dir nachgewiesen werden, nicht du musst deine Unschuld nachweisen

Kleine Kinder, kleine Sorgen – große Kinder, große Sorgen?
Liebe/r Erziehungsberechtige/r,
ihre Tochter und/oder ihr Sohn ist im oben genannten Ermittlungsverfahren als Beschuldigte/r verdächtig? Das ist sicher keine angenehme Situation. Trotzdem möchten wir Sie bitten, Ruhe zu bewahren. Versuchen Sie ihr Kind nicht zu einer Aussage zu zwingen. Es sind nicht Sie als Mutter oder Vater, die oder der wegen einer unnötigen Aussage oder schriftlichen Äußerung „Zur Sache“ (Punkt 3. im Schreiben der Polizei) gegebenenfalls einen Nachteil davonträgt. Bleiben Sie besonnen. Auch ein Eintrag ins polizeiliche Führungszeugnis kommt nicht so schnell zustande, wie manche/r glaubt. Und bei Jugendlichen wird nicht gleich mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Insofern möchten wir Sie bitten, nicht unüberlegt zu handeln und sich die im obigen Text vermittelten Inhalte zu Herzen zu nehmen. Ihre Tochter / Ihr Sohn hat am 28.03.2009 Zivilcourage gezeigt und nicht wie so viele andere Menschen „weggeschaut. ignoriert. gekniffen“ (Slogan des Stempels auf dem Briefumschlag des Schreibens der Polizei). Unterstützen Sie Ihre Tochter / Ihren Sohn und machen Sie ihr / ihm bitte keine Vorwürfe. Nur das schafft Vertrauen.

Eltern können so anstrengend sein!
Liebe_r Jugendliche_r,
du bist im oben genannten Ermittlungsverfahren als Beschuldige/r verdächtig und hast jetzt richtig Stress mit deinen Eltern? Naja, in erster Linie machen sich deine Eltern vermutlich einfach nur Sorgen – ist doch klar. Sie wissen wahrscheinlich genauso wenig oder vielleicht sogar noch weniger als du, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Wir hoffen, dass wir dir mit dem obigen Text vermitteln konnten, wieso es besser ist, die Aussage zu verweigern. Gib den Text doch einfach mal deinen Eltern zu lesen und danach versucht ihr, gemeinsam in aller Ruhe darüber zu sprechen. Du wirst dir dabei vielleicht auch Kritik anhören müssen. Aber mal ehrlich, das wirst du überleben. Abschließend noch einmal: Lass dich von niemandem einschüchtern. Du allein entscheidest, dass du keine Aussage machst.

Übrigens:
1. Sollte die Polizei dich oder deine Eltern nochmals kontaktieren (telefonisch oder persönlich), macht einfach freundlich aber bestimmt klar, dass ihr dem Schreiben nichts hinzuzufügen habt und lasst euch nicht in ein Gespräch verwickeln.
2. Sollten dir weitere Beschuldigte bekannt sein, informiere sie bitte über diesen Text.

Noch Fragen?
Für weitere Fragen (finanzielle, anwaltliche oder sonstige Unterstützung) stehen wir dir / Ihnen am Sonntag, den 3. Mai 2009, ab 14 Uhr, alternative („Walli“), Willy-Brandt-Allee 9, 23552 Lübeck, gerne persönlich zur Verfügung. Weitere Termine werden rechtzeitig bekannt gegeben.

Kontakt: luebeck@avanti-projekt.de