Verschmelzung von Melancholie und Wucht

Kiel – Großer Abend, große Band: Leatherface, die Melodic-Hardcore-Punk-Legende, steht auf der Bühne der Alten Meierei in Kiel. 18 Jahre hat die Combo auf dem Buckel; mit mehr Höhen und Tiefen, als ein Durchschnittskünstler verkraften könnte. Wer nun meint, Leatherface zählten deshalb zu den ergrauten Weisen ihrer Zunft, bekommt nur optisch eine Bestätigung. Richard Eric „Dickie“ Hammond, Leatherface-Gründungsmitglied sowie Ex-Doctor Bison und Toy-Dolls-Gitarrist, ist inzwischen wieder mit an Bord. Obwohl Leatherface-Mastermind Frankie Stubbs einst verkündet hatte, er wolle nie mehr mit Hammond auf einer Bühne stehen.



Ungewohnt volksnah: Frontmann Frankie Stubbs. Foto Peter

Sei’s drum, die Truppe aus dem nordenglischen Sunderland steigt ein mit Hoodlum vom aktuellen Album Dog Disco, dann folgt schon das erste Fan-Highlight: I Want The Moon vom Überalbum Mush hat nichts von seiner betörenden Melancholie verloren und wird in die gut gefüllte Alte Meierei hinein gerockt, als wäre es die Geburtsstunde jener Hymne. Überhaupt steht das Konzert ganz im Zeichen der mittleren Schaffensphase der Band und hält mit Sour Grapes, Not A Day Goes By oder Watching You Sleep nur einige der vielen Hits parat. Stubbs zeigt sich für seine spröde Art ungewöhnlich publikumsnah, grinst, lässt einen Fan den Refrain eines Songs mitgrölen und frönt mehr als einmal seinem unnachahmlichen „Duck Walk“.

Ein großer Moment, als das Quartett Andy anstimmt, dem 1998 verstorbenen Leatherface-Bassisten Andy Crighton gewidmet. Spätestens hier zeigt sich, dass die Wurzeln in der Folkmusic begründet liegen und durch songschreiberische Finesse glänzen statt durch Lautstärke und Stromgitarrenwände. Letztere gibt es trotzdem und liegen vor allem in Stubbs‘ Verantwortung, der zwischen technisch hochversierten Pickings und kraftvollen Akkorden wechselt und damit diesen einzigartigen Sound dominiert – von seinem Raspelorgan ganz abgesehen. Andrew Laing besticht durch ein Schlagzeugspiel, das eher durch Werkhalle und Türstehertätigkeit geformt wurde statt durch eine diffizile Auseinandersetzung mit der Materie. Und doch – oder gerade dadurch – das Gesamtbild einer tighten Rock’n’Roll-Maschine abrundet. Ein fantastischer Konzertabend, der mit den zwei Support Bands Caustic Christ und A Death In The Family schon einen überdurchschnittlichen Einstieg erfuhr. Als Zugabe servieren Leatherface den Police-Song Message In A Bottle – und jetzt sind keine Wünsche mehr offen. “
Von Carsten Purfürst“