Babylonisches Stil- und Sprachgewirr

Der Name ist Programm: Kultur Shock kommen in die Kieler Alte Meierei
Kiel – In seiner Heimat war er ein Star, erfolgreich mit seiner Band Gino Banana genauso wie mit der Theaterproduktion Hair Sarajevo, A.D. 1992, bei der er als Co-Autor und Schauspieler mitwirkte. Srdjan „Gino“ Yevdjevich war gerade 29 Jahre alt, als der Krieg ausbrach. Er emigrierte Mitte der 90er nach Seattle. Eine Flucht, aber auch die Chance, neu anzufangen. Und er nutzte sie mit Kultur Shock, gegründet vom bosnischen Serben Gino und dem bosnischen Kroaten Mario Butkovich.

„Kultur“ – diese Schreibweise wählten sie bewusst, um die südöstlichen Wurzeln der Musik zu verdeutlichen. Mit dem slawischen Ursprung assoziieren sie die Volksmusik aus den bulgarischen Dörfern, die Zigeunertraditionen des Balkans, die Mentalität der osteuropäischen Völker. Doch denkt man hier zunächst an schwingende bunte Röcke, mischt sich bei Kultur Shock Balkanfolklore mit Ska, Zigeunerballaden mit Punk, treffen arabische Weisen auf Metalriffs. Entsprechend vielschichtig ist die stilistische Zuordnung der Band, bestehend aus Sänger Gino, Bassist Masa Kubayashi, den Gitarristen Val Kiossovski und Butkovich, Drummer Chris Stromquist sowie Altsaxophonistin und Sängerin Amy Denio. Oft helfen sich Kritiker mit dem Begriff Balkan-Protest-Gypsy-Core, doch auch Rumba, Funk oder Jazz machen den Sound zum unbeschreiblichen Hörerlebnis. Komplettiert wird das babylonische Stilgewirr durch die Texte, gesungen auf Bosnisch, Serbisch, Kroatisch, Rumänisch, Bulgarisch und Englisch.
Auf die Frage, wo er denn so „Gypsy Guitar“ spielen gelernt habe, antwortet Gitarrist Mario Butkovich: „Während meiner sechs Jahre in einem Flüchtlingscamp in Kroatien.“ Doch die Musik von Kultur Shock ist trotz ihrer Kriegserfahrungen nach vorne gerichtet und direkt, genauso wie ihre Texte und ihr selbstbewusstes Auftreten als politische Immigranten. „Jetzt bin ich glücklich, denn in Seattle waren all diese Grunge-Musiker“, berichtet Yevdjevich. Er traf dort auf eine florierende Balkan-Punk-Szene und blieb. Die Einwanderungsbehörde I.N.S. erlaubte das, stufte ihn als „alien of exceptional abilities“ ein. Der Dank der Band: die unzweideutig betitelte Platte Fucc the I.N.S. von 2001. Nach Kultura Diktatura (2004) folgt im Herbst ein Album mit dem bissig-ironischen Titel We Came To Take Your Jobs Away. Auf ihrer Tour ziehen Kultur Shock derzeit mit ungebremster Energie über europäische Grenzen hinweg – allen voran Srdjan „Dino“ Yevdjewich mit seiner Heavy-Metal-Opernstimme.

Freitag, 21 Uhr, Alte Meierei Kiel

Von Henrik Drüner