Ein Flaschenwerfer ohne Flaschenwurf

Antifaschist nach Freispruch nun schuldig

Antifa-Prozess in Kiel: Keiner hat den Flaschenwurf auf einen Polizeibeamten gesehen – doch das Landgericht Kiel fand dennoch einen Schuldigen.

Sitzungssaal mit Trennscheibe, Einlasskontrollen, Polizeigroßaufgebot: »Willkommen in einem Hochsicherheitstrakt«, mag sich nicht nur J.S. gedacht haben, gegen den wegen angeblicher Flaschenwürfe auf die Polizei bei Protesten der Antifa gegen einen NPD-Europawahlkampfstand im Jahr 2004 verhandelt wurde. In erster Instanz wurde er noch freigesprochen, die juristische Neuauflage vor dem Landgericht Kiel ging am Montagnachmittag dagegen nicht so gut aus.
Der Sachverhalt war unstrittig: Die NPD hatte in Kiel-Gaarden, dem Stadtteil mit dem größten Ausländeranteil in der Landeshauptstadt, gehetzt. Spontan kam es zu Protesten von rund 200 Anwohnern und Gegendemonstranten. Dabei flogen auch Eier, Tomaten und Gemüse – und eben auch vereinzelt Flaschen. Die Polizei versuchte, die Rechtsradikalen zu schützen. Ein Beamter wurde dabei gleich zwei Mal von Flaschen getroffen.
Einen der vermeintlichen Täter glaubte er in J.S. erkannt zu haben. Die Flasche in der Hand, eine ausholende Wurfbewegung – doch den Wurf selbst sah weder das Opfer, noch andere in den Zeugenstand berufene Kollegen. Der getroffene Polizist wollte den Angeklagten aber als einziger anhand einer Sonnenbrille, einem schwarzen Kapuzenpulli und dem, wie er sagte, schmalen Gesicht genau wiedererkannt haben. Im Verlauf des Einsatzes erfolgte geraume Zeit später an einem ganz anderen Ort die Festnahme – eine Gegenüberstellung mit dem Opfer fand nicht statt.
Neben Sch. waren seinerzeit noch rund 30 andere Antifaschisten mit nahezu identischem Outfit vor Ort. S. besaß bei seiner Ingewahrsamnahme keine Sonnenbrille – das eigentliche »Schlüsselbeweisstück«. Und dennoch reichte dem Berufungsgericht die Aussage des Polizeiopfers, um Sch. wegen schweren Landfriedensbruchs in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung zu sechs Monaten Freiheitsstrafe bei einer dreijährigen Bewährungszeit zu verurteilen.
S.s Anwalt Andreas Beuth kündigte inzwischen Revision an. Er monierte in seinem Freispruch-Plädoyer die besonderen Sicherheitsmaßnahmen rund um den Prozess. Das sonst nur von Terroristen-Prozessen bekannte Szenario habe seinen Mandanten in eine Ecke mit Schwerstkriminellen gerückt, hielt Beuth dem Gericht vor.
Vor dem Kieler Gerichtsgebäude kam es am Montag zu Rangeleien zwischen Prozessbesuchern und der Polizei. Nach einem Pfefferspray-Einsatz nahmen die Beamten schließlich mehrere Sympathisanten fest.