Rapider Than Horsepower

Rapider Than Horsepower und Mae-Shi rockten in der Alten Meierei in Kiel

Als Musiker darf man sich entscheiden: Machen ausgetretene Pfade Spaß, gilt es, beständige Strukturen und Heroen zu kopieren? Oder ist es heutzutage tatsächlich noch möglich, im Übervater Rock’n’Roll neue Seiten zu erschließen? Rapider Than Horsepower sind sich ihrer Sache sicher, und letzteres Konzept scheint in ihrem Fall nicht Konstrukt, sondern tatsächlich aufzugehen.

Als das Inferno nach der Vorband Mae Shi losbricht, wird bereits nach den ersten Soundattacken klar, dass sich der Weg heute Abend gelohnt hat. Und einmal mehr zeichnet sich die Alte Meierei in Kiel – in letzter Zeit viel diskutiert – dadurch aus, dass sie nach wie vor imstande ist, international interessante Acts ins Haus zu holen. Der Laden füllt sich mehr und mehr, Grund genug für Rapider than Horsepower, ihren Krach ins Absurde zu treiben. Tatsächlich offenbart sich schon durch erste Taktwechsel, welche einen einzigen prägnanten Zweiton-Riff zugrunde legen, um was es dem Quartett geht: Sprengen jeglicher Grenzen, egal um welchen Preis. Über den Laptop brechen sich Samples von eigenartigen Soundcollagen über unschuldige Glockenspielmelodien. Musikalische Mosaikbausteine säumen den Pfad ins Nirgendwo der Arrangements, und man fragt sich unweigerlich, was das alles denn nun bedeuten soll.

In erster Linie Nonkonformismus, purer Punk, Faktor Emo inklusive, da sich der Sänger keinen Deut ums Publikum schert, sondern stoisch, mit abgewandter Körperbreitseite dem Chaos Raum gibt. Dass der Gesang im Gesamtsound absäuft, mag gewollt sein, trägt zum positiven Eindruck allerdings weniger bei. Mit viel Brimborium, aber auch gleichermaßen musikalischer Raffinesse, gehen die Jungs aus dem Staate Indiana zu Werk. Einzelne Songs sprengen im Ausnahmefall die Ein-Minuten-Grenze, was das Applaudieren manchmal schwer fallen lässt, ist doch letztendlich nicht so gänzlich geklärt, wo Anfänge und Enden sind.

Was zunächst wie atmosphärische Störungen eines Uralt-Radios anmutet, während der Bass zum Hummelflug ansetzt, prägt das letztendliche Maß an Virtuosität und Erfindergeist, manchmal in einen Ansatz von Wiedererkennungswert ausschweifend und damit dem Publikum doch noch ein wenig in die Hände gespielt. Dabei geben sich vor allem die Musiker noch publikumsnah, juchzen schelmisch in die Membrane, hüpfen, knien, rennen, doch der totale Wahnsinn ist dann erreicht, als der Gitarrist einem Zuschauer die Klampfe umhängt, um im Schneidersitz eine Art Keyboard-Adaption zu malträtieren, die optisch eher an eine Malerpalette erinnert. Da ertönen plötzlich frisch-fröhliche Melodien, während der Bass gnadenlos verzerrt seinen Platz behauptet und fast schon prollig die Richtlinie vorgibt, an der es sich zu orientieren gilt. Und plötzlich war es das.

Von Carsten Purfürst