Power, politisch motiviert

Desechos boten in der Alten Meierei in Kiel ein Konzert ohne Füllstoff
Die Utopie von der gerechten Welt, sie ist zum Glück auch eine musikalische. Sonst hätte man in der Alten Meierei in Kiel einmal mehr Schwierigkeiten, die inhaltliche Motivation des spanischen Sextetts nachzuvollziehen. Desechos sind politisch, sie sind hoch musikalisch und stecken voller Energie.

Peitschten die Menge mit ihrem Crossover
aus Rap, Rock, Jazz und Ska gewaltig auf:
Desechos. Fotos Bevis

Dass sie schon für die richtige Seite streiten, muss man eben einfach glauben, wenn man kein Spanisch spricht. Wären die sonst in der Meierei? Musikalisch jedenfalls ist das mal wieder erste Sahne. Auch wenn ein höchst sympathischer Gast mutmaßt, die vielen Bands gleicher Bauart wie die Desechos würden sich in der Meierei fast schon inflationär gegenseitig von der Bühne schubsen.

Na, na, das stimmt ja nun nicht. Obwohl man natürlich generell immer und überall auf der Hut sein muss, sich nicht am Schönen zu übersättigen. Aber die Madrilenen funktionieren doch etwas anders als viele ihrer anscheinenden Genrekollegen. Wenn auch HipHop oder vielmehr der Rap als inhaltlicher Transporter fungiert und Stile wie Jazz, Ska, Reggae, Punk und Latin am gewohnten Mestizo-Sound nesteln, so findet doch die viel beschworene Fusion, das Crossover, zumindest an diesem Abend weit weniger deutlich statt als bei Bands wie Panteón Rococó oder auch Alcohol Fino, die ja auch schon in der Alten Meierei gastierten.

Vielmehr bleiben die verschiedenen Stile bei den Desechos deutlich autarker, stehen nebeneinander, vermischen sich nur vorsichtig und in wenigen Teilen. So entstehen fast reine Ska-Jazz-Stücke, fast reine Rap-Rock-Songs oder Funk-Raggamuffin-Nummern… nun ja, alles auf jeden Fall fast rein und nicht zu bunt gekreuzt. Ein ungetrübtes Rhythmus- und Stilvergnügen, das nicht auf einem Klischee südamerikanischer Leichtigkeit basiert, sondern ein authentisches Gefühl transportiert, das weder einer Mentalität, noch eines Breitengrades bedarf, bieten Songs wie El Teorema de Arquimedes oder Que Se Vayan Todos dennoch.

Nun, so ganz ungetrübt ist es dann doch nicht. Eine kleine Eintrübung am strahlend blauen Musikhimmel stellt der leider manchmal etwas unausgewogene zweistimmige Rap beziehungsweise Gesang von Nacho Mürgi und Gema „Minsa“ Herreros dar, da das weibliche Energiebündel Gema manchmal im Sound- und Stilgewitter ihrer männlichen Kollegen etwas untergeht. Ansonsten aber ist der Sound gut abgemischt und mit der angemessenen Portion Dreck belassen, ohne dass dadurch die Transparenz flöten geht. Auch dieser Konzertabend blieb ohne Füllstoff und der frenetische Jubel am Ende der Zugabe zeigen deutlich, dass man sich an Bands mit Mestizo-Sound hier noch längst nicht satt gehört hat.

Von Manuel Weber