nächstes Mal, wenn Jürgen dabei is

Wer hätte gedacht, dass dieser Abend einen so überraschenden Verlauf nimmt? Erst mal habe ich überhaupt keine zweite Band auf dem Zettel gehabt und als ich dann Plakate mit dem Namen Tackleberry sah, wusste ich damit rein gar nichts anzufangen. Wie hätte ich auch wissen können, dass dat eine neue Kieler Band mit Ex-Sure Shot-Shouter Hannes am Mikro ist, die VOLL reinhaut? Und angesichts des fulminanten letzten Amulet-Besuchs in Kiel: Wie zum Teufel hätte ich ahnen können, dass der heutige Gig der Norweger eine faustdicke ENTTÄUSCHUNG werden würde?

„Bisken genauer in deine Kristallkugel glotzen, du Ölauge“ mögt ihr mir vielleicht antworten, doch was soll’s – man muss auch mal mit NEGATIVEN Überraschungen leben können.
Außerdem waren da ja noch erwähnte Tackleberry, die den Abend absolut gerettet haben! Ich freute mich schon wie Sau, als man mir vertellte, dass dies die neue Band von Sure Shot-Hannes sei. Yeah, da konnte man sich schon auf amtliches Gebrüll und sinnlose Ansagen freuen. Doch was für’n Sturm dann aus der P.A. böllerte, ließ glatt meine Kontaktlinsen beschlagen! NEUE BAND? Wie zur Hölle können die noch nicht ganz den Band-Pampers entschlüpft sein und derart tight aufspielen? Der Drummer erinnerte mich an Matze (The Creetins), wie er da verdammt fit und spielfreudig losholzte und der Gitarrist schrubbte so arschcoole Riffs runter, dasset schon fast unverschämt war. Und hey – der Bassist ließ genauso wenig anbrennen und ließ endgültig sämtliche versammelten Magenwände vibrieren. Stilistisch mögen sie so inne NEW SCHOOL-Mosh-Ecke tendieren, aber das ist eigentlich egal, wenn so frisch und wild gezockt wird. Und endlich mal wieder ein Sänger, der ordentlich BRÜLLT und SCHREIT. Da hätten es fast schon wieder etwas weniger Ansagen sein können, obwohl natürlich wieder einige Lacher dabei waren, O-Ton Hannes: „Also, ich arbeite ja inner Apotheke in Diedrichsdorf, hab ich dat schon erzählt? Und immer wenn ich da rauskomme, stehen da so nette kahlgeschorene Jungs mit so ’Combat 18’ oder ’Klub 88’-Shirts. Und die wollen mir immer eine reinhauen. Aber immer erst ’nächstes Mal, wenn Jürgen dabei is‘ “. So kommt man also zu einem Songtitel wie „Diedrichsdorf Love“, obwohl der Klampfer versicherte, dass dieser Sermon überhaupt gar nichts mit dem Song zu tun habe… Hach, Klasse-Gig – schade, dass das Demo noch nicht fertig geworden ist, weil Hannes laut eigener Aussage „mitten beim Einsingen die Stimme abgekackt ist“!

Nun war ich richtig in Fahrt, spürten massiven Bierdurst und war richtig heiß auf Amulet, deren „Freedom Fighters“-LP ich mir seit dem letzten Gastspiel sehr oft angehört habe. Doch was war das? Die Band, die letztes Mal noch wild aufgespielt und genial rockigen Hardcore geboten hatte, war wie ausgewechselt! Sicher, der Sound war exzellent, die Band spieltechnisch absolut in Form, doch man schmiss sich pausenlos in abgeschmackte und vor allem ganz offensichtlich einstudierte Rockstar-Posen, die besser auf die Bühne des Docks gepasst hätten! Der Sänger hatte seine Mikroständer-Spiele offenbar von David Coverdale abgeguckt und warf sich wirklich von einer Pose in die andere. Da kniete er z.B. vorm Gitarristen nieder, der ihm dann im Hüftschwung seine Klampfe über die Rübe kreisen ließ (wenn er ihn mal an der Birne getroffen hätte – DAS wär schon wieder Punkrock gewesen…). Wirklich nix wirkte spontan, jeder Griff saß so 100%ig, dass es echt öde war und ich mich regelrecht entfremdet fühlte. Und auch musikalisch haben Amulet einen vorhersehbaren Weg beschritten, spielen viel rockiger und melodischer und mit viel weniger Biss. Vom Hardcore zum Hardrock… Man möge mich nicht falsch verstehen – ich will mich nicht aufspielen und den Weg der Band als den objektiv falschen anprangern, nur MEIN Weg war dat nicht. Ich hatte mich RICHTIG auf das Konz gefreut, WOLLTE sie gut finden und abfeiern, aber ich war dann von Song zu Song enttäuschter, bis meine Laune im Keller war. Songs wie „Naked Eye“ oder „Keep On Moving“ bleiben geil, aber ich denke, dass Amulet sich in Zukunft auf ganz anderen Bühnen bewegen werden. Ohne eine Träne im Knopfloch verabschiede ich mich jetzt schon mal von ihnen, es gibt ja noch andere Bands…