Kollektivität statt Kommerz

Desechos, Wegbereiter der Mestizo-Bewegung, in der Alten Meierei
Es ist schon erstaunlich, welch internationale Acts über deutsche Autobahnen den Weg in den Norden nehmen, um in der Alten Meierei in Kiel zu gastieren. Und es hat sich gelohnt, präsentiert der Laden an diesem Abend doch ein echtes Schmankerl.

Ihre Sprechgesänge wirkten wie Salven aus einer
Geschützbatterie: Desechos. Foto Bevis

Desechos sind im Haus, einer der populärsten Vertreter der Mestizaje – oder auch: Mestizo. Jenes Stils also, den Mano Negra im Ringelreihen von Latin, Ska, HipHop und Punk vor zehn Jahren auf die Bühnen dieser Welt brachten. Der Vorgänger Desechos‘, Hechos Contra El Decor, gilt als Wegbereiter und Aushängeschild einer Bewegung, die ihrer Kunst unter anderem dadurch Ausdruck verleiht, in dem in textlicher Hinsicht die Ablehnung jeglicher Herrschaftssysteme und Utopien einer gerechten Welt beschworen werden. Die Sprechgesänge der Madrilenen erinnern an nicht enden wollende Salven einer Geschützbatterie, deren Munition die Wut darstellt, aus sozialem Elend und dem täglichen Kampf ums Leben generierend.
Die Dichte des Sounds ist schon beeindruckend genug, doch die Hypnosekraft entspringt dem unglaublichen Groove von Drums und Bass. Dazu gibt es Pupas funky Telecaster-Gitarre, die ihre großen Momente dann hat, wenn Licks und Tricks gegen wunderschöne, poppige Melodien vertauscht werden, die einen Refrain erst groß machen. Als i-Tüpfelchen ein Saxophon, das genau da ansetzt, wo es Raum hat. Nicht dominant, nicht erzwungen, keine ermüdenden Soli – hier wird für den Song gespielt. Und das ist die eigentliche Kunst in der Popmusik.
Desechos machen Mut, wo andere Bands aud kalkulierten Kommerz setzen. Die Basis bildet „burro“, ihre eigene Version der Kollektivität – die im Miteinander der Musiker, vor allem im Fluss männlicher wie weiblicher Vocals, ein fast perfektes Soundgemisch erzeugt. Auch wenn es erst eine Maxi-CD der Band als offiziellen Tonträger gibt, ist das Oeuvre der vergangenen sieben Jahre doch vielfältig genug und man schöpft aus dem Vollen. Da röhrt die Gitarre unerwartet, rockt der Beat und verlässt den Gleitflug, ergeht sich der Schlagzeuger in fulminanten Fills. Wenn dies die Welt ist, um die es geht, lässt man seine Seele heute Abend bereitwillig entführen. Längst kann man sich den Rhythmen nicht mehr entziehen, wird von Desechos einbezogen in ein mitreißendes Konzert, das an Intensität seinesgleichen suchen dürfte.
Von Carsten Purfürst