Schnell, fies und gemein

Agrotóxico kurz vor der Euro-Tour: Basser Jef hat’s nicht leicht: Nach persönlichem Stress ist ihm auch noch der Sänger seiner Band weggelaufen und einer der Gitarristen steht für die geplante Tour nicht zur Verfügung. Was tun – den Kopp in den Sand stecken und darauf warten, dass der Sturm vorüberzieht? Nö, Jef stellt sich lieber samt Bass selber hinters Mikro, heuert den RASTA KNAST-Klampfer Martin für die Tour mit an und spielt auch noch mit seiner zweiten Band The Flicts den Support auf der ganzen Tour… ZWEI Gigs JEDEN Abend auf einer recht ausgedehnten Tour – das ist auch eine Art von Stressbewältigung….

Ein ganz guter Haufen Leute fanden sich an diesem Donnerstagabend in der Meierei ein, was doch gar nicht schlecht ist. Die „Hauptbühne“ im Saal wollte man heute ungenutzt lassen, nicht zuletzt wegen der doch sehr kurzfristigen Anbahnung dieses Konzis. Zum Glück spielten die Bands aber auch nicht gegenüber vom Tresen, denn das wäre dann doch zu eng geworden. Die Lösung, eine kleine Bühne an der linken Seite des Innenraums aufzustellen, fand ich ganz angenehm. Hatte was Familiäres und war gleichzeitig doch auch mal was Anderes.
The Flicts überzeugten eigentlich auf Anhieb. Melodiöser Streetpunk mit ordentlich Power. Das brasilianische Trio spielte schön eng zusammen und hatte sehr eingängige Refrains am Start. Besonders gelungen der dreistimmige Gesang! Oft sang einer der drei die Strophen, worauf man sich mit zwei Stimmen in den Bridges steigerte um dann schließlich in den Refrains zu dritt Gas zu geben. Der Drummer schmetterte dabei oft „Ahhhaha“-Backings, zu denen man auch als Nicht-Portugiesisch-Sprechender amtlich mitgrölen konnte, während Jef und der Gitarrist sich eifrig an den offenbar angepissten Texten/Refrains zu schaffen machten. Das war überhaupt ein willkommener Unterschied zu den gewohnten Steetpunk-Themen übers Am-Auto-Rumschrauben, denn The Flicts widmeten jeden Song allen „freedom fighters & anarchists“. Als dann noch der olle Gassenhauer „You’ll Never Walk Alone“ intoniert wurde, hatten die Sao Paoloer endgültig gewonnen. Kleine Randnotiz: Ein Song war musikalisch identisch mit RASTA KNASTs „Reich Geworden“, so dass ich mich fragte, wer denn da nun wen gecovert hat. Und tatsächlich stammt das Original laut Jef von The Flicts!

Noch besser gefielen mir Agrotóxico, denn hier gab es auf die Mütze und zwar schnell, fies und gemein. Im Vergleich zu den ohnehin schon fixen Scheiben wie „Estado De Guerra Civil“ oder „Caos 1998“ legten Jef und seine Mannen sogar noch einen Zahn zu. Der Drummer knüppelte derart rein, dass es nahezu unmöglich war, sich dazu noch irgendwie zu bewegen. Außer man zappelte rum wie ein Fisch auf dem Trockenen und rempelt dabei so ungefähr JEDEN an, der das Pech hat sich im Umkreis von 10 Metern zu befinden… So löste ein Besucher jedenfalls das Problem – der pogte sogar noch weiter, als er in die Leute geplumpst war, die auf der Treppe saßen. Ich könnte jetzt irgendwelche Songtitel nennen, die Agrotóxico angeblich gespielt haben, aber ehrlich gesagt, ist das bei den portugiesischen Songtiteln nicht so einfach. Es war schon ein ziemlicher Unterschied zu The Flicts, wobei mir beide Bands gut gefielen. Einziger Kritikpunkt wäre höchstens, dass beide doch ziemlich stur in einem Tempo spielten. Aber das war mir herzlich egal, denn sowohl der Streetpunk von The Flicts als auch der Hardcore/Punk von Agrotóxico wurde mit Inbrunst gezockt. Da merkte man einfach, dass Herzblut drinsteckt und das finde ich viel wichtiger als musikalischen Facettenreichtum. Von Song zu Song merkte ich, wie ich zunehmend unwillkürlich zu zucken begann und das DISCHARGE-Cover „Hear Nothing, See Nothing, Say Nothing“ riss mich endgültig vor die Bühne. Den Chaos Control-Jungs neben mir ging es ebenso, hatten sie den Song doch auch kürzlich an selber Stelle (na gut, ein paar Meter weiter…) zum besten gegeben.
Auch beim Weg hinaus gelang es mir übrigens heldenhaft den „Alerta Antifascista“-Plattenstand zu umgehen, der mit so einigen Leckerein lockte. Jo, geiler Abend und ich schließe mit den Worten LUTE SEMPRE ATE O FIM!

Philipp, dremufuestias.de