Tempo und Tiefgang

Panteón Rococó und Argies peitschten die Masse auf

Dass man am Donnerstag in der langen Warteschlange vor der Halle400 langweilige und viel zu laute Arbeitseinblicke in die Welt der Kameraüberwachung erhält, ist für ein Konzert zwar nur mäßig relevant, aber steigert doch sehr die Freude darüber, endlich das Halleninnere zu erreichen. Jetzt kann es losgehen. Tut es aber nicht. Erst gut eineinhalb Stunden nach Einlass und schwül-treibenden Soundbeiträgen aus der Konserve geht es ab Richtung musikalischer Aufreibung mit Tiefgang.

Politisch und auch physisch sehr stark bewegt:
Argies und Panteón Rococó Fotos Bevis


Na ja, zuerst gilt es, sich mit Punk im traditionellen Sinne zu beschäftigen. Argies aus Buenos Aires geben Gas wie einst The Clash; sehr britisch, sehr wütend und kaum etwas zu spüren von den angekündigten Stilverquickungen. Bei Argies geht’s geradeaus, mit drei Akkorden immer dorthin, wo’s schmerzt. Das hat Druck, keine Frage, aber etwas lärmend und holprig arbeiten sie schon, auch wenn die soliden Arrangements dadurch nicht auseinander brechen. Trotzdem fragt man sich während der krachenden Dreiviertelstunde, warum die Organisatoren so eine schnörkellose Punkband ins Vorprogramm gepackt haben, wo doch sonst lateinamerikanische Rhythmik die Synapsen stimuliert – mit dem argentinisch-deutschen Soundsystem Kumbancha und natürlich der neunköpfigen mexikanischen Starformation Panteón Rococó. Sicher sind beide Bands politisch ebenso links wie motiviert, und auch Panteón Rococó haben ihre Punklektion gelernt, aber zusammenwachsen werden die beiden Gigs auch am Ende der langen Nacht nicht.

Zu viel verschachtelte Rhythmik, zu viel Bläseralarm mit Missael (Saxophon), Paco Barajas (Posaune) und César „Piolín“ García (Trompete), zu viel Note und zu viel Arrangement. Panteón Rococó sind in ihrem Heimatland Mexiko längst Superstars, im Studio eine Kreativmacht auf der Bühne eine Sensation. Die offenen Sympathisanten des Zapatismus machen weder einen Hehl aus ihrem politischen Missionierungswillen, noch aus ihrem Spaß an der musikalischen Umsetzung. Vom ersten Ton an feiern sie, dass sich mancher im Publikum vorkommen muss wie ein Igel im Winter. Ska-Punk nennen es die einen, eine Mischung aus Uptempo-Ska, Punk, Rock und Reggae ist es sicher. Dazu vermengen sie dieses ohnehin schon schweißtreibende Extrakt mit traditionellen Elementen wie Rumba, Salsa, Merengue, Mariachi, Cumbia und weiß der Lateinamerikaner noch alles.

Präzise und virtuos fegen sie durch ihr Set und bieten volle Pulle im vollen Haus. Unter Dampf gehalten vor allem von Bassist Darío Espinosa und Hiram Paniagua am Schlagzeug gelingt es Frontmann, Shouter und Sänger Luis Dr. Shenka dem wilden Soundtreiben genau die nötige Portion Swing beizumischen. Trotz der Dichte der Instrumentierung wirkt die Musik von Panteón Rococó angenehm leicht. Wer heute nicht wenigstens ununterbrochen mitnickt, dem ist nicht mehr zu helfen. Bei soviel Hornsignal aus dem Paradies der Melodien versteht auch der größte Skeptiker, warum diese Band in ihrer Heimat bereits gemeinsam mit Manu Chao ihr Material beim legendären Konzert auf dem Zocalo, dem größten Platz in Mexico City, vor 150000 Menschen darbieten durften, warum ihre Scheiben Gold-Status erreichen und selbst die Kommerzvampire von MTV sie im Herbst des letzten Jahres für den hauseigenen Latin Music Award nominierten. Eine Riesenspaß, eine Riesenparty und dann auch noch inhaltlich so anregend – wenn man denn spanisch spricht.

Von Manuel Weber