Hier gibt es keine Gemütlichkeit

KIEL EXPLODE IV: Primitive Man, Svffer, Ortega, -O-, Wake, Afterlife Kids / 21.06.2014 – Kiel, Alte Meierei

Klar: Das Kiel Explode strahlt durch die Tatsache, dass Kiel zur Zeit ein eher widerlicher Ort ist, um so heller. Empfinde ich die Meierei eh schon als Oase, potenziert sich dieses Gefühl heute natürlich noch. Aber auch ohne diesen Gegensatz stellt das Festival einen der Höhepunkte des Jahres dar. Man weiß nicht nur, dass einen großartige Bands erwarten, sondern dass diese auch eher selten zu sehen sind. Von den heutigen Bands kenne ich tatsächlich nur Svffer – und das finde ich großartig! Und obendrauf stimmt auch der gesamte Rahmen – es gibt leckeres veganes Essen (noch um 02.00 Uhr reißt der Burgernachschub nicht ab) und die Einnahmen gehen an die Organisation FREE ANIMAL.

Die ersten beiden Bands verpasse ich leider. Beide sollen ziemlich großartig gewesen sein, Kyrest eher düsterer Crust und Sundowning wohl schön NEUROSIS-artiges Downtempo-Zeug. Nun, aber sechs Bands reichen ja noch…

Afterlife Kids sehe ich dann aber von Anfang an. Die Berliner legen energisch los, der Sänger springt gleich beim zweiten Stück von der Bühne und singt lieber auffem Boden. Das zieht er dann auch den Rest des Auftritts über durch, find ich gut. Als eine Basssaite reißt, überbrückt der Gitarrist die drohende Stille durch infernalisches Brummen und Dröhnen, sodass überall hektisch Ohrstöpsel ausgepackt werden. Den Stil der Band beschreibt die KIEL-EXPLODE-Crew so schön als Emo Mosh Terror – „wie die alten ESCAPADO, aber auf Speed und mit der Keule in der Hand“. Hehe, schöner kann man es nicht sagen, zumal gern vergessen wird, dass ESCAPADO am Anfang (erste 7“!) deutlich düsterer waren als später. Es herrscht ein guter Andrang im unteren Meiereibereich, was nicht bei allen Bands so sein wird (obwohl definitiv alle Gehör finden). Ein guter, energievoller Einstieg (für mich)!

Es folgt die wohl abgefahrenste Band des Abends und für mich eine echte Erfahrung. KREIS werden sie ausgesprochen, geschrieben mit dem Symbol -O- und sie kommen aus Holland, Belgien und Deutschland (wie zur Hölle kann man dann proben?). Aber das sind ja nur Äußerlichkeiten. Es gibt keine Band, die ich auch nur annähernd als Vergleich nennen könnte. Es gibt auch keinen Stil, der den Kern dieser Musik wirklich erfasst, auch nicht die Bezeichnung Ambient Post Rock. Die Kerle haben tausend Effekte am Start, bringen (in diesem Rahmen) ungewöhnliche Instrumente wie ’ne Drehorgel, eine Schalmei und ein Xylofon zum Einsatz. Dennoch wirkt hier nichts überladen. Im Gegenteil, das Ganze ist ’ne extrem ruhige Nummer. Man kann sich in einen Sound der völligen Entschleunigung fallen lassen. Alles fließt, an die Wände wird ein Sternenhimmel projiziert, Vogelzwitscher-Samples ertönen. Gesang gibt es so gut wie gar nicht, nur ab und zu ein ca. 30 cm vom Mikro entfernt gehauchtes „ooooooooooooooooooh“. Viele finden diese Darbietung natürlich total scheiße, hehe. Ich hingegen schwelge und könnte mir die Band stundenlang reinziehen.

In einer perfekten Welt müsste nach so einer gechillten Geschichte der Dampfhammer kreisen. Und was soll ich sagen? Heute ist alles perfekt, denn mit WAKE erfolgt nun eine wüste Grind-Attacke. Jeder in der Band scheint heute oder generell nur ein Ziel zu verfolgen: In der zur Verfügung stehenden Zeit möglichst viel GERÄUSCH zu erzeugen. Der Drummer beschäftigt sich gar nicht erst mit Halftime-beats, es gibt nur Vollglocke. Manche Grindbands haben ja den seltsamen Effekt, dass sie in ihrer Heftigkeit schon wieder gemütlich klingen. Ihr könnt mir doch folgen? Hier jedoch gibt es keine Gemütlichkeit. KEINE GEMÜTLICHKEIT! Pamela zeigt mir übrigens gerade einen Vogel, weil ich mir Notizen mache. Aber bei derart vielen Bands muss ich mir doch aufschreiben, welche ich gut finde. Wake gehören dazu.

Mit Ortega wird es geschickterweise wieder ruhiger. Nach diesem hohen Reisetempo ist ’ne Abkühlung der Brennstäbe willkommen. Aah, wie geil, die erinnen mich auf angenehme Weise an eine Mischung aus KYLESA und ISIS (die Band, ne). Nur dass KYLESA im Vergleich zu den Holländern dann doch deutlich eingängiger klingen. ORTEGA frickeln herrlich selbstvergessen, kümmern sich nicht darum, dass vielen Besucher_innen dieser Herangehensweise zu verspielt und zu langsam ist. Es wird im Innenbereich deutlich leerer und ruhiger, was mich und einen Haufen Diehards die Sache aber noch intensiver genießen lässt (wär doch wie im Kino, wenn neben dir jemand während einer ganz ruhigen, melancholischen Szene mit der Chipstüte zu knistern beginnt). Sieben Adjektive zu ORTEGA: sanft, rauh, düster, zäh, episch, dissonant, treibend, hypnotisch. Das waren übrigens acht, aber ihr zählt ja wieder nicht mit.

SVFFER sind wie gesagt die einzige Band, von denen ich im Vorfeld ‘nen Tonträger besitze oder die mir überhaupt bekannt sind. Dennoch bin ich nicht gewappnet für die Hyperspeed-Bratzung, die jetzt über uns hereinbricht. Hab ich die 7“ immer zu langsam abgespielt? Nein, live sind SVFFER einfach so unfasslich intensiv, dass sie dir die Haut und das Haar von Gesicht und Birne reißen. Die Sängerin brüllt die sanierungsbedürftige Meierei in einen wohl noch sanierungsbedürftigeren Zustand. Da wird jeder Balken, jeder Ziegel und jede Schraube ‘nem Belastungstest unterzogen. Die Bielefelder_innen haben mit Leuten von UNREST und ALPINIST ja auch Abrissspezialisten an Bord. Powerviolence ohne Hemmungen! Die LP ernte ich später natürlich ab und ich kann nur sagen, dass sie noch ma deutlich stärker als die Debut-7“ ist. Geile Band, die will ich noch ganz oft sehen.

Zum Abschluss kommt mit Primitive Man aus Denver noch ein weiterer unverhoffter Knaller! Woher haben André und Klemsen bloß die ganzen krassen Bands her? Ich mein, als Musikfreak ist man ja immer auf der Suche nach neuen Extremen. Bitte schön, Danke sehr – wieder eins gefunden! Das Trio ist so was von schweineheavy, dass ich vor Begeisterung in die Ecke kacken könnte! Der Schlagzeuger will sein Kit offenbar ZERSTÖREN und spielt mit ganzem Körpereinsatz. Zum Glück bin ich kein Schlagzeug, sonst hätte ich jetzt ANGST. Der Gitarrist spielt ein wenig wie Tom Warrior (CELTIC FROST, TRIPTYKON) – wenig filigran, aber mit immenser Aggression und Wucht. Überhaupt erinnert mich die Musik an CELTIC FROST und CROWBAR, wobei der Gesang des TIERs am Bass atonal und fies brüllig ist, also nicht so vergleichsweise melodiös wie bei CROWBAR. Hammer.

Wer nach diesem Schlag in die Magengrube Hunger verspürt, bekommt immer noch frische Burger. Ich kann nur sagen, dass es wieder ein grandioses Fest war. Dank an alle an der Orga Beteiligten. Onward to KIEL EXPLODE V!

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